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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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selbstverständlich nicht«, korrigierte er jedoch.
    »Du bist wohl sehr von Buchheim überzeugt.«
    »Auf Günter lasse ich nichts kommen!«
    Fast hatte ich mir so etwas gedacht.
    »Na, ich bin weniger begeistert von ihm«, rutschte es mir heraus.
    Ich überlegte, ob ich Alexander von Buchheims nasser Zunge erzählen sollte. Was würde er dazu sagen?
    »Er ist so etwas wie ein Vater für mich, Sarah! Günter hat sich um mich gekümmert, als es mir so richtig dreckig ging und kein einziger Freund für mich da war.«
    Ich blickte Alexander an, sah das Feierliche, das er in seine Worte legte, auch in seinen Augen wieder und wusste: Diesem Mann brauchst du nicht mit irgendeiner Anschuldigung gegenüber seinem Übervater zu kommen. Er würde mir nichts glauben, was Buchheim zuvor geleugnet hätte.
    »Nein, auf Günter Buchheim lasse ich nichts kommen!«, wiederholte er nachdenklich.
    »Dann ist das wohl so«, sagte ich.
    »Was?«
    »Nichts … ich meine, dann ist das wohl so, dass Buchheim so was wie ein Vater für dich ist.«
    Alexander nickte und legte nun die Ernsthaftigkeit in seine Miene, die ich eben noch vermisst hatte. »Ja, das ist er!«
    Ich gab es bereits an diesem Abend auf, ihn davon überzeugen zu wollen, dass Buchheim ein Arsch war. Wenn, dann musste er das schon selbst bemerken. Das allein war meine einzige Chance, Alexander für mich zu gewinnen.

    Gewissensbisse – sind sie nun Werkzeug von Menschlichkeit oder schlicht eine Plage anerzogener Moral, die uns gefällig macht? Zuhause jedenfalls quälten sie mich. Ich wusste nicht nur von Larissa und Kevin, ich wusste – ohne sie näher zu kennen – von zehn Menschen, die ernsthaft planten, sich umzubringen, wenn mir auch nicht genau bekannt war, wann und warum. War ich nicht dazu verpflichtet, das irgendwo zu melden? War die Tatsache, dass diese Menschen im Verein gemeinschaftlich ihren individuellen Tod planten, ein Verbrechen? Ich frage mich noch heute: Ist es unterlassene Hilfeleistung, dass ich nichts dagegen unternahm, oder war es eher anstößig als sträflich? Das Richtige wäre wahrscheinlich gewesen, zur Polizei zu gehen, ich weiß. Aber, was war schon geschehen bis jetzt? Sie machten doch alle einen äußerst lebendigen Eindruck. Ich wusste von keinem Einzigen, dass er sich heute oder morgen auf die Bahngleise werfen wollte oder im Pool ertränken. Diese Menschen lebten. Sie lebten in ihrer eigenen bewegenden Welt und irgendwie nahm ja auch jeder von ihnen ehrlichen Anteil am Schicksal der anderen. Diese Welt war nicht schlecht, sie war nur anders. In einem hatte Buchheim recht, die andere Welt, die da draußen, die erträgt sie nicht. Im Grunde aber war es eine Gemeinschaft, wie jede andere auch, mit gemeinsamen Aktivitäten, mit Querelen, Spaß und Sticheleien.

Das Streben nach Tod und Leben

    Meine Arbeitstage vergingen wie im Flug. Doch die Abende, das heißt, die Abende im Haus der Verlorenen , die ich inzwischen täglich dort verbrachte, wirkten auf mich, wie der Mittelpunkt der Tage überhaupt. Ich freute mich, wenn Kevin mich mit einem Lächeln begrüßte und Franziska Anekdoten aus ihrem Alltag erzählte; wenn Marc schwätzend hinter der Bar stand und Alexander seine frechen Späße trieb oder Gitarre spielte. Larissa sang dann mit. Sie hatte eine leise, aber wunderschöne Stimme. Wir unterhielten uns über gesellschaftliche Probleme und Politik, besuchten das Günter-Grass-Haus in Lübeck und fuhren für die Körperwelten -Ausstellung für ein Wochenende bis in die Schweiz: Kunst aus Leichen! Wie passend! Und wie zu erwarten, hing Alex an jedem Exponat nahezu mit der Nase im Gedärm. Er war fasziniert von den geöffneten Leibern der Toten und skizzierte einige der Ausstellungsstücke erschreckend genau nach, während Kevin und Marc eher still beeindruckt daran vorbeischlenderten. Larissa und mir muteten sie wenig anziehend an – eher gezwungen exhibitionistisch und ihrer Ruhe entrissen … aufs Intimste zur Schau gestellt. Nur zurückhaltend wagte ich einen Blick auf ihre entblößten Gehirne. Wir stritten noch lange über sittliche Grenzen von Kunst.
    Das Haus war ein Zuhause für uns und über Wochen hatte ich das Gefühl, dass das ewig so weiter gehen könnte. Jeden Gedanken an die morbiden Wurzeln unserer Gemeinschaft verdrängte ich. Nur Buchheim fürchtete ich nach wie vor. Da er sich jedoch meistens zusammen mit den zwei steifen älteren Herren von uns jungen Leuten fernhielt, schob ich auch das beiseite. Ich vergaß ihn

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