Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
Vom Netzwerk:
zuckte zusammen, genauso wie ich. Marc tauchte hinter ihm aus dem Dunkeln im Hausflur auf.
    »Warum hast du kein Licht gemacht?« Ärgerlich zog ich ihn herein und schloss die Tür. »Muss das sein, dass du uns so erschreckst?«
    »Weil ich kein Licht gemacht habe oder weil ich euch ertappt habe?«
    Bei diesen Worten grinste Marc unausstehlich.
    »Was du wieder denkst!«, schnauzte ich ihn an.
    Alex klopfte Marc zur Begrüßung auf die Schulter. Ich sah sie von hinten nebeneinander in mein Wohnzimmer gehen und stellte mir Marc, genau wie Buchheim, als Opfer meiner vorangegangenen mörderischen Fantasien vor. Marc im Sturz von meinem Balkon, aus der vierten Etage. Mit meinem Fleischmesser im Rücken! Vergiftet, sich am Boden krümmend, mit schmerzverzerrtem Gesicht! Stattdessen aber grinste er mich nun vom Sofa aus an. Ich hätte ihm dieses Gesicht zerfleischen können!
    Es schellte erneut. Bald drohte meine Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung, aus den Nähten zu platzen und der Trubel fraß meine Aggressionen allmählich auf. Wir saßen auf dem Sofa, dem Sessel, zwei Küchenstühlen und am Boden auf Kissen, während wir die Häppchen und Salate vom Wohnzimmertisch aßen. Dazu tranken wir Wein und Bier. Die Wenigsten begnügten sich mit Wasser, so wie ich, vor allem Alexander nicht.
    »In dieser Wurst ist der Zusatz E 210 enthalten!«, erwähnte Jochen während des Essens. »Das ist krebserregend.«
    Nahezu alle, einschließlich mir, stellten für ein paar Sekunden das Kauen ein. Larissa, das krebskranke Mädchen, sah zu ihm herüber.
    »Das ist aber umstritten.«
    »Stimmt, aber umstritten ist Vieles. Ihr wisst ja, welche Lobby dahinter steckt.«
    Man merkte, dass sich hier Fachleute austauschten. Wir anderen, inzwischen wieder kauend, verfolgten ihre verschiedenen Standpunkte interessiert.
    Larissa wurde schließlich ungehalten. »Du musst nicht glauben, an Krebs zu erkranken, nur weil du massenhaft solcher Wurst isst!«
    Jochen fühlte sich sofort aufs Äußerste angegriffen.
    »Natürlich nicht. Es ist ja nicht das Einzige, was ich tue. Allerdings ist es erwiesen, dass übermäßiger Verzehr von Fleisch und Wurst, mit oder ohne Zusatzstoffe, die Entstehung von Krebs fördert. Da wirst du mir ja wohl zustimmen.«
    Die Atmosphäre war innerhalb weniger Minuten unangenehm umgeschlagen.
    »Jedem das Seine …«
    »Lasst doch die Streiterei«, versuchte Kevin, zu vermitteln.
    »Richtig!«, sagte Franziska, während sie, wie die meisten von uns, jetzt mehr zum Salat griff. »Ihr arbeitet auf unterschiedliche Ziele hin. Es ist klar, dass ihr euch dabei zwangsläufig in den Haaren liegen werdet.«
    Nun legte Larissa sogar ihr Besteck zur Seite. »Was der machen will, ist doch pervers! Das ist ein Schlag ins Gesicht für jemanden wie mich.«
    Jochen sprang von seinem Stuhl auf. »Und du läufst vor deiner Krankheit davon!«
    Langsam begann es für mich, spannend zu werden, wobei ich nicht verstand, welche unterschiedlichen Ziele sie haben sollten. Alexander, neben mir auf dem Sofa, lächelte ein wenig überheblich, als betrachtete er die beiden wie um Alltäglichkeiten streitende Kinder, die man nicht ernst nehmen konnte. »Ich würde sagen, Außenstehende würden uns alle für unnormal halten«, sagte er wie nebenbei. »Was streiten wir uns also. Jeder von uns soll es so betrachten, wie er möchte und die anderen sollten es respektieren. Ich persönlich sehe es als Sport an.« Er würdigte die beiden keines weiteren Blickes mehr, doch mich lächelte er an, als wollte er sich bei mir für deren Verhalten entschuldigen.
    »Normalerweise geht es bei uns einträchtiger zu«, behauptete er und das Thema schien nun auch für alle anderen erledigt zu sein.
    Er selbst sah das alles also als Sport an! Was gab Alex das Recht, sich den anderen gegenüber überlegen zu fühlen? Marc hatte mir erzählt, Alex plane eine ganz besonders aufsehenerregende Aktion im Hinblick auf seinen selbst gewählten Tod und wir alle dürften auf das Ergebnis gespannt sein. Ich selbst hatte nie gewagt, ihn danach zu fragen, aus Angst vor der Antwort. Warum musste ich mich zu einem Mann hingezogen fühlen, der schon bald unaufhaltsam aus meinem Leben verschwinden würde? So etwas konnte doch nur mir passieren.
    Larissa und Jochen hatten sich vom Tisch entfernt, allerdings getrennter Wege, soweit es in meiner Singlewohnung ging.
    »Warum können sich die beiden nicht einig werden, wenn sie doch anscheinend an derselben Krankheit leiden?«, fragte ich

Weitere Kostenlose Bücher