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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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die Stelle, auf die ich aufschlagen musste, verbaut mit Absperrungen aus stählernen Gittern.
    In dieser Nacht träumte ich vier Mal von diesem Sturz und litt vier Mal an der Angst vor einem qualvollen Tod.

    Für die Verpflegung meiner Gäste aus dem Haus der Verlorenen , die sich zahlreicher angesagt hatten, als ich es eingeplant hatte, bereitete ich Salate und Häppchen vor. Wie gehofft, kam Buchheim nicht mit. Er wäre der Letzte gewesen, den ich gerne in meiner Wohnung begrüßt hätte. Buchheim war mein Feind, ein ekelhafter Mann, dem ich nicht vertrauen konnte, der mir Angst machte und für den ich nur ein störendes Element in der Gemeinschaft war. Ich hasste ihn! Er stand zwischen mir und Alexander, zwischen mir und dem Leben. Warum plante der Kerl eigentlich nicht seinen eigenen Selbstmord? Wann sollte seine große Verabschiedung stattfinden? Ich hätte gerne applaudiert, während ihm in seinen letzten Atemzügen die Augen aus den Höhlen gequollen wären. Alles andere – nur einen friedlichen Abgang hätte ich ihm nicht gewünscht. Gewaltsam schnitt ich tiefe Furchen in den Lachs vor mir auf der Arbeitsplatte und seine Farbe erinnerte mich an eine ausgeblutete Wunde an Buchheims Brust. Eine Kette mörderischer Gedanken schlich sich in mein Hirn, die jeden beschwichtigenden Einwand im Keim erwürgte. Zwar erschreckte mich meine Mordlust an kaltem Fisch, doch wehren wollte ich mich nicht gegen diese Gefühle, die meine Hände trieben, sondern ich kostete sie stattdessen lieber aus. Wie hatte Alexander gesagt? Egal, welche Gefühle, nur stark müssen sie sein! Diese Gefühle waren angsterregend stark!
    Die Erlebnisse im Haus der Verlorenen hatten unfraglich Einfluss auf mich. Abend für Abend beschäftigte ich mich mit dem Tod. Freier Gedankenmord – solche aggressiven Empfindungen mündeten inzwischen immer öfter in der Vorstellung, nicht nur mich selbst, sondern auch andere Menschen tot zu sehen. Menschen, die ich nicht mochte, nicht nur Buchheim. Auch der Polizist, der mich aufschrieb etwa, oder eine Frau, die mich auf dem Gehweg anrempelte. War die Distanz zwischen Selbstmord und Mord tatsächlich so gering? Musste man fürchten, dass derjenige, der nach seinem eigenen Leben trachtet, in einem Umschwung der Gefühle im nächsten Moment den Rest der Menschheit umbringen will? Buchheim, zum Beispiel, schien mir derart gefährlich. Machte er nicht genau das? Menschen in den Tod treiben? Was war mit der angedrohten Strafe für Verrat? Würde er mich töten, wenn ich den Verein verriete? Was, wenn ich einfach zur Polizei gehen würde? Buchheim hätte ich Schwierigkeiten gewünscht, doch hätte ich es beweisen können? Die Gemeinschaft bestand seit Jahren und ich war sicher nicht die erste Zweifelnde. Alex jedenfalls hätte mir das wahrscheinlich nicht verziehen und es hätte ihn auch nicht von seinen eigenen Selbstmord-Plänen abgehalten. Wusste der Teufel, was ich an Alex fand. Seine Gestalt, als die Wiedergeburt Manuels, als sehr viel liebenswertere Ausgabe jenes gewaltleidenschaftlichen Geliebten allein, war es nicht. Womöglich war es seine Begeisterungsfähigkeit, die er meistens ausstrahlte, wenn ich ihm begegnete, und seine Art, Ziele klar zu verfolgen. Sein Spiel mit dem Leben, sein eigenes Ziel – in seiner Gegenwart fühlte ich mich gezwungen, ihn jedes Mal so zu behandeln, als sähe ich ihn zum letzten Mal. Wir waren Teil einer Gemeinschaft, die sich jederzeit auflösen konnte und genau darum hielt es uns beisammen. Menschen, von denen wir wissen, dass sie uns Morgen schon für alle Zeit verlassen könnten, nimmt man ganz sicher intensiver wahr. Überhaupt schien mir der Tod in letzter Zeit nicht besonders tragisch. Jens ging es jetzt doch prima! Es stirbt sowieso jeder. Wenn man genau wusste, wann und wie, konnte man bis dahin doch ziemlich gelassen leben – unfraglich, ein Vorteil.
    Es schellte. Ich stach das Messer in die Arbeitsplatte und es brauchte eine Weile, bis ich mich fasste.
    Alexander stand mit Blumen an der Tür – Rosen, rote und gelbe. Gerührt nahm ich sie an mich.
    »Komm doch rein!«
    Ich hörte mich säuseln. Da stand er vor mir, dieser irre Junge und raubte mir den Verstand, ohne großartig etwas dafür zu tun. Er drückte sich langsam an mir vorbei und Alex' Körper löste einen spürbaren Windzug auf der nackten Haut meiner Unterarme aus. Diese Nähe hatten wir schon einmal gehabt und ich wusste, sie war gefährlich nahe an meinem Herzen.
    »Darf man stören?«
    Alex

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