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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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Mitgliedern beruhigt wurden. Marten und Kessel waren die beiden, die Alex sowieso nicht ausstehen konnte, diejenigen, welche sich stets mit Buchheim von uns anderen absonderten. Buchheim legte seine Hand beruhigend auf Alex' Schulter.
    »Ruhig, Alex!«
    Doch Alex schüttelte seine Hand ab.
    »Ich will nicht ruhig sein!«, rief er. »Was ist mit euren Plänen? Sind sie tatsächlich jedes Mal so schlecht, dass man sie nicht durchführen kann? Was ist mit der Höhlentour, um eingeschlossen zu werden, was mit dem Bootsausflug bis auf die hohe See? Sind alle diese Vorhaben etwa wirklich nicht durchführbar oder ist es tatsächlich so, dass ihr es in Wahrheit gar nicht verwirklichen wollt?«
    Alex war kaum noch zu bändigen. Sein Kopf glühte vor Hitze und Buchheim und Kevin hatten Mühe, ihn davon abzuhalten, die beiden am Hals zu packen. Schließlich brachten sie ihn zum Stehenbleiben. Seinen Mund konnten sie ihm jedoch nicht zuhalten.
    »Entweder seid ihr zu feige oder ihr seid Verräter!«
    An dieser Stelle gab es wiederum Schwierigkeiten, die beiden älteren Herren auf ihren Plätzen zu halten.
    »Diese Anschuldigungen«, rief Kessel außer sich, »sind so übel, dass man meinen könnte, sie kämen von einem frustrierten Unglücksraben, dessen eigene Pläne nur deshalb so kompliziert sind, weil er sich so wichtig wie möglich machen will. Alexander, du bist nicht nur ein Irrer, sondern auch ein eingebildeter Sprücheklopfer! Ob du es besser kannst, musst du uns erst noch beweisen. Wo ist denn deine viel gepriesene Tötungsmaschine, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen soll? Wir haben sie noch nicht gesehen! Oder ist das auch etwa nur ein Plan ohne Durchführungsmöglichkeit?«
    Die Erinnerung an Alex' Kunstwerk in der alten Scheune schmerzte. Allzu leicht und zu gern vergrub ich alles, was Alexander negativ umhüllte und was meiner Zukunft mit ihm im Wege stand, in unergründbare Hirnwindungen. Jetzt, wo ich meinte, sein Vertrauen zu haben, als seine Freundin, die er doch liebte, musste ich so bald wie möglich handeln. Ich musste ihn so fest an mich binden, dass er sich von Buchheim und diesem Irrenhaus losriss. Stattdessen aber fesselte er mich immer mehr an sich und zog mich Stück für Stück einem gemeinsamen Tod entgegen.
    Wahrscheinlich wussten Marten und Kessel, dass sie für diesen Abend am besten aus dem Haus verschwinden sollten.
    »Und Verrätern geht es schlecht!«, schrie Alex ihnen hinterher.
    Kevin und seine Freunde sahen müde aus.
    »Wir werden einen neuen Termin bekannt geben«, kündigte Kevin mit matter Stimme an.

Leo und Mathilde

    Der Kalender zeigte den 16. November, einen der inzwischen sehr kühlen Tage, die bereits mit Schneeregen und Graupelschauer in unsere Straßen einfielen, jedoch noch nicht die nötigen Temperaturen für einen ordentlichen weißen Schneefall mit sich brachten. Da das Brummen in meinem Kopf sich auf Sparflamme hielt, jedoch ab und zu größer aufzüngelte, wollte ich mir neue Tabletten besorgen. Dazu musste ich extra zu meinem Hausarzt in die Sprechstunde. Ich dürfte sie nicht so oft nehmen, mahnte er mich an. Als ob ich das nicht gewusst hätte!
    »Was soll ich denn machen?«, brüllte ich ihn an. »Was?!«
    Er wollte, dass ich endlich zum Neurologen ginge. Ansonsten wäre es das letzte Rezept über Triptane, das er mir ausstellte. Ich nahm das Rezept und ging.

    Gerade an diesem Tag klatschten fette kalte Graupeltropfen auf dem Weg in unser Haus in mein Gesicht. Ich bemerkte die beiden, wie sie im Dunkeln das Vordach der Haustür erreichten, die Nässe von ihren Schuhen stampften und ihre Kleidung ausklopften. Sie standen vor der Tür und besprachen sich. Ich kümmerte mich nicht weiter um sie, weil ich dachte, sie hätten nur einen Unterschlupf gegen dieses scheußliche Wetter gesucht und würden bei Abflauen des Niederschlags weiterziehen.
    Etwas später kamen sie jedoch zu uns herein. Sie nahmen, im Eingang stehend, ihre Mützen vom Kopf und reichten sich gegenseitig die ausgezogenen Mäntel an, nicht wissend, wohin mit den tropfenden Dingern. Dies war der Tag, an dem wir Mathilde und Leo kennenlernten, beide knapp neunzig Jahre alt, grau- und dünnhaarig, und noch immer zusammen. Ich muss zugeben, dass wir überrascht waren. Keiner von uns, nicht einmal Buchheim, wäre auf die Idee gekommen, sie wüssten genau, wo sie hier gelandet waren. Vereinsmitglieder in diesem Alter hatte es bis dahin noch niemals gegeben. Franziska ging auf die alten Leute

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