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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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weniger als eine halbe Stunde nach dem Besuch des Chinesen hatte einer der schwarzen Lagerarbeiter an die Glasscheibe seines sogenannten Büros geklopft, ein großer und starker Mann ohne festen Wohnsitz, der als zurückgeblieben galt, und dieser hatte gesagt, der Chinese habe gerade eben seine Kollegen abermals beleidigt, außerdem habe er gesagt, er tue das auf die ausdrückliche Anordnung des Bürovorstehers.
    Ob das wirklich wahr sein könne, hatte der Einfältige ihn gefragt, worauf der Mann die Existenz einer solchen Anordnung aufs entschiedenste bestritt.
    Der Chinese hat bei uns keine besonderen Befugnisse, hatte der Mann gesagt. Dieser Arbeitsplatz sei doch nicht zu groß, als dass er, der Bürovorsteher, ohne einen Boten zu benutzen, jedem persönlich seine Meinung sagen könnte, ob und wann es ihm passte.
    Habe ich Sie etwa nigger genannt, fragte der Mann.
    Dies verneinte der Einfältige, der jetzt den Faden verloren zu haben schien; teilnahmslos starrte er auf den Boden, während er sacht vor und zurück schwankte, wie er da vor seinem Vorgesetzten stand.
    Na also, sagte der Mann.
    Während er mit dem Einfältigen sprach, hatte er in den Papieren nach dessen Namen gesucht, aber nichts gefunden, die Papiere vor ihm auf dem Tisch waren in dieser Angelegenheit überhaupt nicht hilfreich gewesen, weshalb er sie bald zur Seite gelegt hatte, etwas, das der schwarze Arbeiter als mangelndes Interesse an seiner Person aufgefasst haben musste.
    Ich weiß ja, dass ich hier arbeite, weil ich keine Ausbildung habe, sagte er. Ich habe nichts Besonderes vorzuweisen. Ich gelte als dumm. Aber mit Stäbchen esse ich nicht.
    Mit dem Ausgang dieser beiden Gespräche, dem Gespräch mit dem Chinesen und mit dem Repräsentanten der Gekränkten, war der Mann ziemlich zufrieden, auch wenn er einsah, dass jedes für sich den Konflikt im Lager kaum würde lösen können, und dass ihre Wirkung insgesamt trotz allem schwer zu beurteilen war. Trotzdem verlief der Rest der Woche relativ ruhig. Der Chinese hielt sich zurück, blieb meist drinnen, während die anderen Arbeiter draußen an der frischen Luft mit den Laderampen beschäftigt waren.
    Während der restlichen Woche verließ der Mann nur selten sein Büro, verbrachte dort die Zeit damit, mit Hilfe seiner Listen die Waren abzuhaken oder neu zu kennzeichnen, oder damit, sich in Gedanken auf die Ankunft seiner Frau vorzubereiten, erleichtert darüber, noch einen guten Monat ganz für sich zu haben, ohne richtig zu wissen, wozu diese Zeit genutzt werden sollte.
    In dieser Gemütsverfassung kommt der Mann am Samstagnachmittag nach einer weiteren abgeschlossenen Arbeitswoche nach Hause. Das Wochenende steht vor der Tür, aber am Wurst- und Hamburgerstand nahe bei der Haustür am Riverside Drive herrscht wie immer reges Leben. Als der Mann vorbeigeht, hört er, wie es von gegrilltem und angebranntem Fleisch zischt, die Leute sind wie üblich aus allen Richtungen auf dem Heimweg, nur diese Frau fehlt, er hat sie seit dem Abend, an den er nicht mehr gern denken mag, nicht mehr gesehen.
    In Gedanken versunken, die nichts Besonderem gelten, betritt der Mann das Treppenhaus, als ihn plötzlich etwas Nasses und Hartes direkt ins Gesicht trifft.
    Haltlos fällt der Mann zu Boden und bleibt dort liegen, wird gegen Rücken und Kopf getreten, dann wieder mit etwas ins Gesicht geschlagen, vielleicht mit einer Latte oder einem Baseballschläger, danach wird ihm schwarz vor Augen, sein Bewusstsein schwankt, fast verschluckt er ein paar ausgeschlagene Zähne; beide Arme um den Kopf gelegt und in Fötusstellung kauernd, versucht der Mann, sich vor weiteren Schlägen zu schützen.
    Zu seiner Überraschung merkt er, dass Angst im Mund wie Sägespäne schmeckt; aber mehr als ein Gefühl ist es nicht, Sägespäne hat er jedenfalls nie im Mund gehabt. Um ihn herum oder vielleicht in ihm selbst sind alle Lichter gelöscht, es ist stockdunkel, und in dieser Dunkelheit muss es zwei, drei oder mehrere Personen geben, die ihn weiter treten und schlagen, bis es sich anfühlt, als schlügen sie jemand anderen, den er nicht kennt, aus dem Inneren des Mannes füllt sich der Mund mit etwas, das sein eigenes Blut sein muss, und als er zu Bewusstsein kommt, auf dem Rücken liegend, wie sonst in seinem Bett morgens im siebzehnten Stock, leuchtet im Treppenhaus das schwach giftgelbe Licht von der Decke, wie an jedem anderen Abend in diesem Haus, als wäre nichts geschehen.
    Danach bleibt der Mann fast vierundzwanzig

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