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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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letzten Säle war der mit dem lauwarmen Wasser ähnlich gewesen, die der Mann am selben Morgen in der Küche der Frau gefunden hatte, und ein kleiner schwarzer Radioapparat, vermutlich aus Bakelit, hätte ebenso gut hinter dem Tresen in der Rezeption des Hotels stehen können. Aber in keinem Saal war es dem Mann und der Frau gestattet, den endgültigen, erlösenden Schritt zurück in die Gegenwart zu tun: stattdessen empfand der Mann es so, als wolle diese vergangene, aber großartige Pracht sie so lange wie möglich zurückhalten, als bräuchte sie gerade sie beide, um noch einmal die Aufmerksamkeit für das zu wecken, wozu sie einmal gedient hatte.
    Auf dem Weg zur Cafeteria zündete sich die Frau eine Zigarette an. Die Cafeteria war klimatisiert, hell und fast leer. Sie setzten sich an einen Tisch nahe an dem großen Panoramafenster, das die gesamte Längsseite des Lokals zu dem Platz hin einnahm.
    Der schwarzgelbe Fleck in der rechten Ecke des Himmels war noch da. Dem Mann erschien es so, als hätte er sich allmählich ausgebreitet, aber sacht, ungewiss in welche Richtung. Wie ein Löschpapier hatte der Himmel ihn aufgesogen, aber groß konnte man diese Veränderung nicht nennen, und der Mann beschloss, ihr keine Aufmerksamkeit zu schenken; auch wollte er die Frau nicht darauf hinweisen, was sich über ihren Köpfen abspielte. Der Gottesdienst in der Kathedrale gegenüber musste vorbei sein. In den vierzehn frei stehenden, mit Schindeln bedeckten Glockentürmen läuteten keine Glocken mehr. Die leeren Jutesäcke hatte man wohl wieder eingesammelt, jedenfalls waren sie weg, nur hier und da auf dem leeren Platz vor der Kathedrale lagen noch Schuhe.
    Der Mann entschuldigte sich, um, wie er es nannte, sich die Hände waschen zu gehen. Darüber lächelte die Frau.
    Als er zurückkam, stand eine Flasche Rotwein auf dem Tisch. Auf dem Etikett der Flasche war ein Satyr (oder etwas Ähnliches) abgebildet. Anstelle von Haaren trug der Satyr schwere Büschel von schwarzen Weintrauben um den Kopf, Trauben, die nur die spitzen Bocksohren frei ließen. Der Mann studierte das Etikett gründlich. Es erinnerte ihn an Länder, die er besucht hatte oder die ihm wenigstens bekannt waren. Auch der Satyr (oder etwas Ähnliches) auf dem Etikett war als Abbildung geglückt. So wollte er sich selbst gern als Mann sehen, athletisch, jede Rippe in Muskeln eingebettet, mitten im Sprung, die linke Hand – obwohl die Linke in diesem Land als unrein galt – nach einem Pokal mit Wein ausgestreckt.
    Was hätte er nicht für so einen kohlschwarzen und spitzen Bart geopfert! Nur eine Frau fehlte auf dem Etikett. Doch das Geschlecht des Satyrs war entblößt; und, wie der Mann hoffte, nur vorübergehend von zuviel Wein schlaff und verschrumpelt.
    Jebig puffkurvit (oder etwas Ähnliches), sagte die Frau und kicherte.
    Sie hatte auf die Flasche gedeutet. Der Mann lächelte ihr zu. Danach geschah ziemlich lange überhaupt nichts. Dann sah der Mann auf seine Uhr, obwohl das als unhöflich aufgefasst werden konnte, auch die Frau sah ja, dass er das tat, und er erinnerte sich daran, dass die Dämmerung in diesem Teil der Welt wie ein plötzlicher Überfall aus dem Hinterhalt kommt, so überraschend, dass jeder Unterschied zwischen Abend und Nacht ausgelöscht scheint.
    Es war noch nicht fünf.
    Etwas später hätte der Mann die Frau gern gefragt, ob sie ihm vielleicht helfen könnte, ein Taxi zu bestellen, nicht für sofort, sondern für Mittwoch Vormittag, wenn er sich zum Flugplatz begeben musste. Denn der Mann verließ sich nicht auf die Rezeption des Hotels. Für dieses Misstrauen meinte er, gute Gründe zu haben. Mehr als einmal hatte er das Personal nach der Möglichkeit gefragt, ein Taxi im Voraus zu bestellen, auch nach der Länge der Strecke, den in der Stadt gültigen Preisen, Trinkgeldern und möglichem Stoßverkehr, aber auf all seine Fragen hatte er die gleiche Antwort bekommen, no problem , und dies jeweils mit einer solchen Überzeugung, dass der Mann den Eindruck bekam, das Personal freue sich darüber, das zu praktizieren, was vermutlich ein erheblicher Teil seines englischen Wortschatzes war; oder, die zweite und beunruhigende Deutung, dass dieses sorglose Verneinen verstecken sollte, dass man es mit einem höchst wirklichen, fast unlösbaren Problem zu tun hatte.
    No problem!
    Doch wusste der Mann nicht, wie er sich der Frau verständlich machen sollte; sobald er sich aus ihrem Bett entfernt hatte, schien das fast unmöglich. Alles,

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