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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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sich daran, dass die Frau sich während ihrer gemeinsamen Nacht einen dünnen Schal (aus Seide oder Chiffon, vermutete er) um die Taille gebunden hatte, der auch während ihres Kampfes im Dunkeln dort blieb, obwohl er bei mindestens einer Gelegenheit versucht hatte, ihn ihr abzureißen.
    Die Frau kam ohne Hund ins Hotel, nur eine halbe Stunde verspätet, und dem Mann wurde klar, dass fast ein ganzer Nachmittag vor ihnen lag. Ihre Haare waren im Nacken zu einem Knoten geschlungen, eine Tüte kohlschwarzer, straffer Sittsamkeit, die den Mann erregte und ihn an die Nacht in ihrem Bett zurückdenken ließ. Jetzt im Tageslicht sah er, dass das Gesicht der Frau hell gefleckt war wie ein Vogelei. Sie trug ein milchweißes Kostüm, das durch das kohlschwarze Haar noch weißer wirkte und ihr zusammen mit dem einfachen Schnitt ein feierliches, fast strenges Aussehen verlieh, als hätte die vorhergehende Nacht überhaupt nichts mit ihr zu tun, oder als wäre sie unterwegs zu einem Verhör.
    Oder vielleicht hatte sie nur vergessen, was geschehen war?
    Der Mann küsste die Frau leicht auf die Wange. Ihre Wange war kühl und gesprenkelt. Als sein Blick dann auf den Himmel über der Frau fiel, war da ein großer dunkler Fleck in der rechten Ecke; der Mann war absolut sicher, dass der Fleck sich bisher nicht dort befunden hatte. Wie wenn dickes Öl das Wasser verunreinigt, dachte er. Aber auch ein solcher Vergleich war nicht hilfreich: ein ähnliches Himmelsphänomen hatte der Mann noch nie gesehen, nicht einmal in seinem eigenen Land.
    Die Frau wirkte nervös oder gelangweilt. Mit ein paar Worten hätte er gewünscht, die Intimität der Nacht wiederherzustellen, aber ihm fehlten die Worte, und die Frau schien sie nicht zu vermissen. Vorsichtig berührte sie die Beule an seiner Stirn; der Mann hatte sie schon fast vergessen.
    Galjim salsadsad (oder etwas Ähnliches), sagte die Frau und nahm eine dunkle Sonnenbrille aus ihrer Tasche, setzte sie auf, steckte sie aber fast gleich darauf wieder ein.
    Draußen auf der Straße wartete ein Taxi. Der Fahrer hatte die Autotür geöffnet, um die Hitze herauszulassen, und hatte schon mehrere Zigaretten geraucht, während er wartete; die Kippen lagen um die geöffnete Tür auf dem Boden.
    Turrur, turrur, sagte die Frau zu dem Fahrer.
    Sie fuhren in die, wie der Mann vermutete, ältesten Teile der Stadt, die Häuser neigten sich hier und da gegeneinander und waren aschgrau, wohl ursprünglich braun, aber später fast schwarz von Verunreinigungen, oder war es der Lauf der Zeit, die Straßen wurden immer enger und waren mit immer mehr Menschen bevölkert, der Asphalt war verschwunden und zu blankgescheuertem Stein geworden, der Fahrer lehnte sich wütend aus dem Auto und schrie Fußgänger an, die zurückschrien; hier und da blieb das Taxi stehen, nur die Zahlen auf dem Taxameter drehten sich weiter, machten merkwürdige Sprünge wie in Krämpfen, Zahlen, die immer weiter anstiegen, auch wenn der Wagen stillstand; aber dann startete er wieder mit einem plötzlichen Ruck, und der Fahrer war gezwungen, im letzten Augenblick einer toten Katze auszuweichen.
    I love you, sagte der Mann.
    Er tat dies vor allem, weil es an der Zeit war, etwas zu sagen, aber vielleicht hörte oder verstand die Frau nicht, was er sagte, sie strich nur ein paar dünne, blauschimmernde Strähnen aus der Stirn und betrachtete ihn mit einem Erstaunen, das keiner Übersetzung bedurfte. Ihre Augen waren bei Tageslicht dunkelbraun, wie die Farbe von in der Kaffeemühle gemahlenen Bohnen, oder wie die großen, breiten Ardennerpferde in der Kindheit des Mannes, und auf dem Rücksitz des Taxis wandte sich die Frau dem Mann zu und strich ihm sacht über das Haar, um so viel rührender, als dieses Haar kurz geschnitten war, fast wie ein Borstenschnitt, und sich nicht glätten ließ; ihre Hand fühlte sich kühl an, und die Finger nicht so hart wie in der Nacht, als sie sein Geschlecht umschlossen und massiert hatten.
    Diese Berührung zerstreute auf einmal die Gedanken des Mannes. Aber nur für einen Augenblick; dann tauchten sie wieder auf. War es aus Eitelkeit, dass er diese Frau begehrte? Um sich später an sie zu erinnern, wie wenn man eine seltene Briefmarke in ein Album klebt?
    An ihrer gemeinsamen Nacht hatte der Mann nichts auszusetzen gehabt, aber einen ganzen Tag lang gezwungen zu sein, auf die nächste zu warten, würde ihm eine Anstrengung abverlangen, die ihn schon um drei Uhr nachmittags mit Unbehagen erfüllte, und die

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