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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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bald Herbst ist, und die einander ständig ins Wort fallen. Der eine Genosse beendet einen Satz, den der andere angefangen hat. Jedes Mal, wenn sie sich sehen, hat der Mann Schwierigkeiten, sie zu unterscheiden, bis er erkennt, dass das auch nicht nötig ist, dass sie nur Provisorien oder Entwürfe sind und erst entstehen, indem sie gegenseitig ihre Sätze beenden oder mit den Fingern vom Teller des anderen essen. Am liebsten essen sie große Portionen Weißkohlsalat, billig und gesund.
    Der Mann empfindet die Genossen als tief gestört von den Umständen und Bedingungen, die ihm für sein Teil als vom Leben selbst diktiert erscheinen, davon, dass es Hoch und Niedrig gibt, Reich und Arm, dass manche schlagen und andere geschlagen werden, also von Verschiedenem, was der Mann als normal und völlig in Ordnung betrachtet, weshalb er nicht weiter darüber nachdenkt.
    Fasziniert studiert der Mann sie, und der eine (oder ist es der andere) starrt zurück und sagt mit dem Mund voller Weißkohl, er stamme aus einer Sprengerfamilie, aber es gebe andere, die sicherlich zu Hause einen Flügel gehabt haben.
    Einen Flügel hat es im Elternhaus des Mannes jedoch nicht gegeben.
    Obwohl er meint, die Voraussetzungen ihrer Existenz erkannt zu haben, fällt es dem Mann schwer, die beiden Genossen wirklich ernst zu nehmen. Und trotzdem hat er den Eindruck, dass er in dieser Gesellschaft Gegenstand einer Art von Prüfung oder Untersuchung ist, gewogen und gemessen, um dann als Fall behandelt zu werden, und dass gerade die Stimme der Frau dabei großes Gewicht haben wird (wenn auch nicht so groß wie die des Wortkargen), aber ob als seine Verteidigerin oder Anklägerin, darüber traut sich der Mann kein Urteil zu.
    Tief über den Weißkohlsalat gebeugt, fahren die beiden Genossen fort zu essen, ohne Besteck, keiner von ihnen will wohl etwas so Unnatürliches wie Metall in den Mund stecken, und der Mann bittet sie um den Brotkorb, obwohl der eine Genosse gerade jemanden erschießen möchte, wobei der andere ihm sofort ins Wort fällt und die Blondine sich über den Tisch beugt und die Augen funkeln lässt, wahrscheinlich vor Bewunderung dafür, dass ein so schwerer Entschluss im Handumdrehen gefasst werden kann, und bald sind die beiden Genossen mit einer größeren Ausmerzung beschäftigt, das Brot ist vergessen, stattdessen betrachtet der Mann die großen Brüste der Blondine, allerdings verstohlen und aus dem Augenwinkel, erstaunt darüber, dass sie sich ihrer anscheinend so wenig bewusst ist, als hätte die Zugehörigkeit zu diesem Genossenkreis sie blind gemacht für ihre Wirkung auf jeden anderen Mann.
    Im Land ist eine große Bauernbewegung auf dem Vormarsch. Mit einem Knall geht die Sonne blutrot im Osten auf. Rühre mit einem Stock in der Scheiße, und es stinkt. Der Osten ist rot, doch die Farbe des Westens kennt der Mann nicht, fragt sich aber, ob in einer solchen Bildsprache nicht mehr Verlogenheit steckt als in seinem eigenen »Guten Tag«. Der Weißkohl ist jetzt aufgegessen, die Börsenkurse fallen, so dass die Kapitalisten fett und steinreich werden, nur scheinbar eine contradictio in adjectem , sagt fehlerhaft der eine Genosse, und der andere weist ihn streng zurecht, tote Sprachen wie Latein oder Griechisch seien repressive Werkzeuge im Dienst der Reaktion, und dazu nickt auch die Blondine zustimmend, niemand außer dem Mann scheint sich für ihre Brüste zu interessieren, und dann wird lange hin- und hergerechnet, was gegessen und getrunken wurde, wer was zu bezahlen hat, Münzen und ein paar Scheine werden auf dem Tisch hin und her geschoben, nur der Wortkarge nimmt an diesen Berechnungen nicht teil, liest stattdessen in einem Taschenbuch mit gebrochenem Rücken, alle Arten von Geldtransaktionen sind vermutlich unter der Würde dieses Genossen.
    In dieser Gesellschaft fühlt sich der Mann unbehaglich und als würde er beobachtet. Es mag so scheinen, als ignorierten ihn die Genossen, er ist ja nicht einer von ihnen, aber immer wenn etwas in seine Richtung gesagt wird, geschieht es mit einem aggressiven, bösartigen Unterton. Zugleich hat er das Gefühl, dass die Genossen es vermieden, in seiner Gegenwart über etwas von wirklicher Bedeutung zu sprechen, als würden sie Geplauder und Belanglosigkeiten vorziehen, jedoch bereit, ihn anzugreifen, sobald sich ihnen eine Chance bietet. Denn die Genossen verkörpern die Wahrheit; nur versteht der Mann das nicht.
    Solche Treffen sind jedes Mal ein Desaster, das sowohl der Mann

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