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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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der Mann von sich selbst hat und das ist keineswegs sicher. Wer kann behaupten, einen anderen Menschen zu kennen? Selten gelingt es uns, viel weiter als bis zu seiner Lieblingsfarbe oder seinem Lieblingsgericht vorzudringen.
    An einem Nachmittag hat der Mann zufällig etwas im Stadtteil der Frau zu erledigen. Er nimmt die U-Bahn zum Slussen und geht von dort den Götgatsbacken hinauf, wo er zusammen mit einem Anwalt ziemlich lange über verschiedenen Papieren sitzt, ohne auch nur einen Kaffee angeboten zu bekommen, und als er wieder auf die Straße hinaustritt, weht ein Wind vom Stadsgården herauf, während zugleich ein Demonstrationszug vom Slussen her mitten auf der Straße den Hang heraufkommt; auf Spruchbändern wird Nieder mit etwas oder Kampf für etwas anderes gefordert, und der Mann bleibt auf dem Trottoir stehen, während der Zug sich langsam nähert; rote Fahnen wehen im Wind, während sich die niederländische Flagge traurig ein paar Mal um die Fahnenstange der Botschaft weiter unten am Hang gewickelt hat. Wie während eines Gottesdienstes wird mit lauter Stimme etwas verkündet, um sogleich von den Demonstranten wortwörtlich im Chor wiederholt zu werden. Auch Kinder marschieren in dem Zug mit, aber nicht im Takt, genauso unmilitärisch wie die Erwachsenen, welche die Kinder an der Hand halten, und die Kinder reden mit denen, die vielleicht ihre Eltern sind, und wenden ihre kleinen hellen Gesichter zu ihnen hinauf; die Allerkleinsten werden in einem Geschirr auf dem Bauch der Eltern getragen, manche schlafen und lassen sich nicht einmal von den Sprechchören stören, welche mehr als all diese Füße Rhythmus und Takt vorgeben, so dass die Wanderung den Götgatsbacken hinauf trotzdem als eine Art Marsch gelten kann, ungefähr wie die einförmige, schlecht sitzende Kleidung sogar bei den Kindern doch als eine Art Protestuniform gelten kann; und da steht der Mann allein zwischen den Zuschauern auf dem Trottoir und hat gerade beschlossen zu gehen, er meint, genug gesehen zu haben, als er die Frau erblickt, die plötzlich zusammen mit all den anderen an ihm vorbeimarschiert. Aber auch die Frau hat ihn entdeckt, so dass der Mann sich jetzt verpflichtet fühlt, ihr Gefolgschaft zu leisten, Seite an Seite, in den Pausen zwischen den Sprechchören versuchen sie, miteinander zu reden, und der Mann ist unbewusst in das eingefallen, was den Takt bilden soll, versucht sich aber so nah am Trottoir zu halten wie möglich, als gehöre er nicht zu den Demonstranten, sondern sei rein zufällig auf demselben Weg den Hang hinauf; und all das stimmt ja, aber trotzdem ist der Mann aufgeregt und nervös, ängstlich, dass jene, die mit ausdruckslosen oder geradezu feindlichen Gesichtern auf dem Trottoir stehen, die Sache anders auffassen könnten, in diesem Stadtteil dem Mann Gott sei Dank lauter unbekannte Gesichter, und hinauf zur Kuppe des Hügels marschiert er Seite an Seite mit der Frau, allerdings mit den Händen in den Hosentaschen, als ginge ihn die Revolution nichts an, und von Zeit zu Zeit unterbricht die Frau ihr Gespräch, um mit lauter Stimme, allzu laut, wie der Mann findet, in die Sprechchöre einzustimmen, Hinweg mit etwas oder Vorwärts mit etwas; und hier und da am Hang und ganz oben auf der Kuppe steht ein Polizist wie festgefroren und mit demselben ausdruckslosen oder geradezu feindlichen Gesicht wie die Zuschauer auf dem Trottoir, so dass der Mann sich jetzt auch bloßgestellt fühlt, als wäre er hier auf der falschen Seite und in der falschen Gesellschaft ertappt worden, ein Verrat, den diese gefrorenen Schutzmänner bereits in ihren Polizeiköpfen erkannt und registriert haben, und bald wohl auch die eigenen Spitzel und Ordner, denen sich der Mann so einschmeichelnd angeschlossen hat, ohne sich allzu weit vom Trottoir zu entfernen, jedoch auch ohne den Mut zu haben, wieder den Schritt da hinauf zu tun; und ganz oben auf der Kuppe des Hangs sieht der Mann ein paar Krähen niedrig über den schwarzen Hausdächern schwanken, über die Stadt fegen an diesem späten Nachmittag kräftige Windstöße hinweg, drängen den Rauch zurück in die Schornsteine oder zerreißen ihn zu dünnen, wogenden Schleiern über einem durchscheinenden Nachmittagshimmel, und unter diesem Himmel füllt der Wind die Spruchbänder, lässt sie anschwellen und sich blähen oder verschrumpeln und sich falten, so dass Schlagworte und Parolen schwer zu entziffern sind oder einfach unleserlich werden, und die männlichen Demonstranten,

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