Notluegen
eine Dusche.
Nach einer Weile gießt er sich eine Tasse Tee ein. Der Mann wartet. Der Tee hat eigentlich keine Farbe, nur ein durchsichtiger gelber Ton erlaubt ihm, das, was sich in der Kanne befindet, von gewöhnlichem Wasser zu unterscheiden, und der Mann hätte gern ein paar Zuckerstücke in die Tasse getan. Aber auf dem Tablett befindet sich kein Zucker. Auch keine Zitrone, keine Milch. Der Mann hätte sich außerdem eine Papierserviette (oder zwei) auf dem Tablett vorstellen können, aber bei genauerem Nachdenken vermisst er die Serviette nicht so sehr wie das fehlende Stück Zucker. Als er versucht, von seinem Tee zu trinken, ist er immer noch viel zu heiß.
Dann kommt die Frau wieder ins Zimmer, immer noch im Bademantel, aber mit hochhackigen Schuhen und ohne Handtuch um den Kopf. Ihre blonden Haare sind ungekämmt. Sie sehen zerzaust aus und sind vermutlich noch nicht ganz trocken, aber vor allem faszinieren den Mann ihre Schuhe. In dieser Wohnung und in diesem Teil der Stadt hätte er solche Schuhe nicht vermutet. Sie sind schwarz, mit sehr hohen Absätzen, und so schmal, dass sie zerbrechlich wirken und die Frau in ihnen eher schreiten als gehen muss, ein Paar Schuhe, die so weit ausgeschnitten sind, dass sie, hätte es sich um ein Kleid gehandelt, beide Brüste der Frau nahezu entblößt hätten.
Die Frau hat sich gerade gegenüber von dem Mann hingesetzt und das rechte Bein über das linke geschlagen, so dass die helle, nicht ganz feste Unterseite ihres Schenkels vom Bademantel freigegeben wird, als das Telefon auf dem Schreibtisch hinter ihr plötzlich klingelt.
Sie erhebt sich sofort, um mit dem Rücken zu dem Mann zu antworten. Aus dem, was der Mann von dem Telefongespräch zu verstehen glaubt, schließt er, dass es erneut um die Frage geht, wie die Welt verbessert werden könnte; über das Telefon hat diese noch unvollendete Welt sich in die Wohnung eingeschlichen, so dass er nicht mehr allein mit der Frau ist. Das irritiert ihn. Bevor das Telefon klingelte, war die Wohnung der Frau eine Art neutrales Niemandsland, in dem die Erfolgschancen größer waren als je zuvor.
Aber das Telefon ist auf Seiten der Welt, nicht des Mannes.
Die Frau hört intensiv zu, was auf der anderen Seite gesagt wird. Aus Tonlage und Körperhaltung schließt der Mann, dass es sich um einen anderen Mann handelt, vermutlich um einen der Genossen, aber er kann keine Worte aufschnappen, die Frau kommentiert nur einsilbig und mit halben Sätzen, was er nicht hört.
Die Frau sagt, ja, ich weiß. Oder sie sagt, das haben wir doch schon immer gesagt, und das können sie nicht verstehen. Oder sie sagt, wirklich, haben sie das gemacht? Und noch öfter sagt sie ja oder nein, oder klar, und im Verlauf dieses Gesprächs, von dem der Mann ausgeschlossen ist, lehnt sich die Frau über den Tisch und stützt sich mit dem Ellbogen darauf.
Vielleicht der Konzentration wegen oder weil es so bequemer ist, na klar, sagt sie in den Hörer, und was für den Mann übrigbleibt, der nichts davon hören kann, was auf der anderen Seite der Leitung gesagt wird, sind diese Schenkel und Hüften, dieser Schoß unter dem Bademantel aus weißem Frotté, der die Frau bedeckt, aber nur knapp, so dass ihr Schoß entblößt werden würde, wenn sie sich nur ein bisschen weiter über die Tischplatte vorbeugen würde. Ihre zerzausten, immer noch nassen Haare sind hell und fast durchsichtig, wie dieser Tee in der Tasse vor dem Mann, und wie er da am Couchtisch sitzt, beschleicht ihn das Gefühl, in einem Brief an die Frau diese Szene bereits beschrieben zu haben, wobei aber das, was in dem Brief Kitsch und Lüge war, in dieser Wohnung echt wirkt, und das erregt ihn; er würde sich gern über die Frau beugen, ihr ganz einfach so nahe kommen, dass er die Hände auf ihre Hüften legen und den Duft ihrer Haare einatmen könnte.
Stattdessen bleibt er sitzen. Als er sich schließlich doch erhebt, sind es nicht ihre Haare, die ihn dazu veranlassen, sondern das, was sich unter dem Bademantel verbirgt. Langsam ist er zu der telefonierenden Frau hingegangen, und ebenso langsam hat er ihr die Arme um die Taille gelegt; von hinten presst er sich vorsichtig gegen sie, Schenkel an Schenkel, Hüfte an Hüfte.
Sie lässt es geschehen. Ja. Dem Mann erscheint es sogar so, als würde die Frau unter dem Bademantel Schenkel und Hüften anspannen, als würde sie vorsichtig Widerstand leisten, während sie mit lauter Stimme, deren Sachlichkeit für die Person am anderen Ende der
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