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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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Finger der Frau in seinem Haar fühlen sich angenehm an, und was sie gesagt hat, ist ja auch ziemlich fürsorglich.
    Die Frau fährt fort, ihn weiter mit ernsten Augen zu betrachten.
    Aber aus dem, was die Frau halb im Scherz und ganz langsam gesagt hat, meint der Mann bereits sein Schicksal zu erahnen, unfähig wie er ist, sich gerade diesen Körperteil während einer Revolution anders vorzustellen als in einer Schlinge oder auf einem Richtblock, schlimmstenfalls schon zusammen mit anderen Köpfen in einem für eben diese bestimmten Korb.
    Ein so schöner kleiner Kopf, sagt die Frau, als hätte sie denselben Gedanken, und plötzlich nimmt sie den Kopf des Mannes zwischen ihre beiden Hände, wie man eine Frucht oder einen Gegenstand umfasst, den man jemandem schenken will, und der Mann fragt sich, ob es nicht der Gang jeder Revolution sei, dass das, was als Spiel beginnt, aus purem Leichtsinn, bald Ernst wird, bevor das Entsetzen überhandnimmt und die Reue sich einstellt. Eigentlich hat er sich die Revolution genau so vorgestellt, aber es ist ihm unwohl dabei, seinen eigenen Kopf aufs Spiel zu setzen, um das bestätigt zu bekommen.
    Könnte man mich nicht zur Umschulung schicken, fragt der Mann, ohne selbst an das zu glauben, was er sagt.
    Die Frau überlegt eine Weile. Dann aber schüttelt sie den Kopf, langsam, wie wenn man auf etwas Unvermeidliches gestoßen ist.
    In deinem Fall wäre das von keinem Nutzen, sagt sie, und der Mann fragt sich, ob sie an ihn oder an die Revolution denkt. Vermutlich an letztere.
    Ein so schöner kleiner Kopf, wiederholt die Frau ernst und schüttelt wieder ihren eigenen, aber immerhin ist sie doch eine Frau, denkt der Mann – das ist seine letzte Hoffnung –, und deshalb eher mit den äußeren Vorzügen dieses Kopfes beschäftigt als mit den reaktionären und konterrevolutionären Gedanken, die er birgt.
    Aber sicher ist er nicht.
    Die Frau streicht ihm das Haar aus der Stirn und sieht sich im Zimmer um. Der Mann versteht, dass sie etwas sucht, und bald findet sie auch, was sie sucht, im Bücherregal, es ist eine Kamera.
    Ich muss dich fotografieren, sagt sie zu dem Mann.
    Das Foto will sie auf dem Balkon machen. Der Mann will jetzt so schnell wie möglich von hier verschwinden und lässt sich darauf ein. Der Balkon geht zur Hofseite des Hauses. Das Licht der späten Nachmittagssonne fällt auf Hof und Balkon, und die Frau sagt dem Mann, wo er sich hinstellen soll, mit dem Rücken dicht an der gelben Hausmauer und den Blick auf den großen Kastanienbaum unten auf dem Hof gerichtet, also mit dem Kopf im Halbprofil, und als die Frau mit dem zufrieden ist, was sie auf dem Sucher hat, sagt sie, ja genau so, das wird gut.
    Die Sonne steht schon so tief, dass sie den Mann nicht blendet. Auf dem pechschwarzen Dach auf der anderen Seite des Hofs sitzen regungslose Tauben. Der Mann hat eine Miene aufgesetzt, die ihn auf dem Bild unbekümmert und voller Selbstvertrauen erscheinen lassen soll. Er hätte es jedoch vorgezogen, direkt in die Kamera zu schauen; im Halbprofil wird er sein fliehendes Kinn nicht verbergen können.
    Aber genau so will die Frau ihn haben, in einem Abstand von weniger als einem Meter. Sie besteht auf einer Großaufnahme, und als der Mann beobachtet, wie sorgfältig die Frau sich um ihr Motiv bemüht, um Entfernung und Hintergrund, und wie sie die langen Schatten zu vermeiden sucht, welche die Nachmittagssonne über Hof und Hauswände wirft, hat er das Gefühl, auch das, was sie in diesem Augenblick mit ihm macht, sei nur eine Wiederholung, etwas, das sie schon früher getan hat: dass er nicht der erste Mann ist, den sie für eine Fotografie auf den Balkon stellt.
    Das war’s, sagt die Frau, senkt die Kamera und lächelt ihm zu.
    Sie ist fertig. Ihre zerzausten Haare sind getrocknet, im Schein der Nachmittagssonne steht eine Art brennender blonder Kranz um ihren Kopf.
    Dem Mann ist es nicht geheuer. Er fragt sich, wozu die Frau dieses Bild haben will, vor allem, wenn seine Vermutung stimmt: dass es sich nur um eine Fotografie unter vielen anderen handelt, vielleicht auf ein und derselben Filmrolle, alle im Format vierundzwanzig mal sechsunddreißig Millimeter.
    Als Erinnerung? Aber an was?
    Er ist an diesem Nachmittag ja nicht einmal zum Liebhaber der Frau geworden. Je länger er darüber nachdenkt, umso mehr fühlt er sich wie jemand, der ohne eigenes Verschulden in einem Verbrecherregister gelandet ist, als Opfer einer falschen Anklage, vor allem aber fühlt er sich

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