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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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Prag an der Macht gewesen waren, manchmal sogar ganz im Gegenteil, aber jetzt auf einmal ein sehr gefragtes Wissen, denn auch dies hatten die neuen Zeiten mit sich gebracht; und aus dem Schloss hatte dieser Freund von früher sie gebeten zu kommen und ihm zu helfen.
    Spreche ich mit Frau S., hatte die Sekretärinnenstimme am Telefon gesagt, die Frau antwortete mit Ja, und nach ein paar Takten Musik (Mozart) war der Freund von früher aus dem Schloss am Telefon.
    Beide waren sofort in Lachen ausgebrochen. Es war doch zu komisch.
    Ihn selbst hatte sie am nächsten Tag nicht treffen können. Stattdessen mehrere freundliche Personen, ein paar davon kannte sie von früher, aus den Jahren, in denen nichts geschehen war, Personen, welche die Frau jetzt behandelten, als wäre alles genau wie damals und sie ein Mitglied der Familie. Sie hatten ihr das Schloss gezeigt, einige von ihnen fröhlich, andere so todernst, dass ihr die vorgesehenen Aufgaben weniger alltäglich erschienen, als sie es sich bei der Zusage für diesen Job vorgestellt hatte.
    Dieser lange Tag mit vertrauten oder vollständig neuen Gesichtern, mit Bekannten und Unbekannten, die sich alle hinter Schreibtischen erhoben, welche der Frau zu groß erschienen angesichts der Aufgaben, die sie hier erfüllen sollte und die ihr sofort feierlich oder mit einem ironischen Lächeln erklärt wurden, endete ganz oben unter dem Dach in einem abgelegenen Flügel des Schlosses. Eine schmale Tür führte in ein enges Zimmer mit Dachschrägen. Das Zimmer war kleiner als jedes andere, das sie an diesem Tag im Schloss zumindest flüchtig gesehen hatte. In dem Zimmer befanden sich wenige Möbel, eigentlich nur ein Schreibtisch und zwei Stühle, und doch spürte die Frau hier den herben Geruch von Staub in der Nase.
    Ein Unbekannter erwartete sie bereits, hinter dem Schreibtisch stehend, ein Mann, den die Frau nach seinem Aussehen zu urteilen in der Zeit, als das Schloss Leuten wie ihr nicht offenstand, kaum je hätte treffen können. Der Unbekannte bat sie, Platz zu nehmen. Die Frau setzte sich und der Mann sagte, sie befänden sich hier in der Sicherheitsabteilung des Schlosses.
    Dies wurde mit leiser und auffallend freundlicher Stimme gesagt, als wolle der Mann sie in etwas Vertrauliches einweihen. Trotzdem war sie nervös und fühlte sich unwohl.
    Ein Sessel oder vielleicht ein kleines Sofa hätten das Zimmer auch für den gemütlicher gemacht, der keinen Anlass sah, sich zu setzen, der, schon bevor er oder sie dieses Zimmer betrat, beschlossen hatte, stehen zu bleiben.
    Aber die Frau saß bereits.
    Wir sind alle so froh darüber, dass Sie für uns arbeiten wollen, sagte der Mann.
    In den Ohren der Frau klang dies, als ob Gabeln und Messer nicht mehr zu dieser künftigen Aufgabe zählten.
    Daraufhin hatte der Mann aus dem Schreibtisch ein Papier hervorgeholt und rasch überflogen, sie dann gebeten, es zu unterschreiben, eine reine Formalität, wie er sagte; der Unbekannte hatte ihr einen Füller angeboten, und die Frau hatte unterschrieben und ihm das Papier zurückgegeben, und ohne es anzusehen, hatte er das Papier wieder weggelegt.
    Also gut, hatte der Mann gesagt und ein neues Dokument hervorgeholt, es mit bekümmerter Miene hochgehalten und im Licht des einzigen Fensters studiert, das der Frau als viel zu groß für ein so kleines Zimmer mit einer so schmalen Tür und so vielen Geheimnissen erschien.
    Diesmal ging es um ihren früheren Mann, Ende April 1972 als Polizeispitzel angeworben, seitdem in den Listen unter dem Decknamen »Pilot« ( letec ) als informeller Mitarbeiter geführt, vor allem als Berichterstatter in Dissidenten- und Künstlerkreisen eingesetzt, in welche die kommunistischen Sicherheitsorgane nur einen begrenzten oder unzulänglichen Einblick hatten, laut der damaligen Anmerkungen seiner Vorgesetzten für seine Sachlichkeit, sein gutes Urteilsvermögen und seinen großen Fleiß geschätzt; eine Zusammenarbeit, die demnach in all den Jahren von großem gegenseitigem Vertrauen geprägt war, frei von Missverständnissen und kleineren Konflikten oder Krisen, ausgelöst von den Selbstvorwürfen, die nach allgemeiner polizeilicher Erfahrung bei informellen Mitarbeitern üblich sind und früher oder später fast jeden betreffen, der diese Art von Tätigkeit ausübt, und sich daher selbst unter idealen Voraussetzungen kaum vermeiden lassen; das kennen wir nur zu gut, sagte der Unbekannte hinter dem Schreibtisch, doch was die Frau gern als taktvoll betrachtet

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