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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Seifert , Christian
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nicht genug Leute. Jedenfalls nicht genug für unsere ständig steigenden Anrufzahlen. Das spüre ich gerade am eigenen Leib. Ich nehme mir fest vor, dieses Problem im Kollegenkreis und auch bei meinen Vorgesetzten wieder einmal anzusprechen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich das doch irgendwann ändern wird. Es muss dringend eine Möglichkeit geschaffen werden, Kollegen nach derart belastenden Einsätzen eine Auszeit zu gewähren. Ein zeitnahes Gespräch mit einem erfahrenen Kollegen, ein Austausch mit dem besten Freund oder der Familie – eben Rückhalt finden bei denen, die einem nahestehen und denen man vertraut. Ein bisschen Abstand gewinnen, wenn auch nur für ein paar Stunden. Das täte mir jetzt auch gut.
    Die kurze Pause ist vorbei. Ich trinke noch ein großes Glas eiskaltes Wasser, gehe zurück an meinen Platz und nehme mit kalten Händen den nächsten Notruf an: »Die Feuerwehr. Der Rettungsdienst. Grüß Gott!«
    In der Nacht liege ich mal wieder schlaflos im Bett, starre Löcher in die Dunkelheit. Höre immer wieder Didis bitteres Lachen, das Brechen des Holzes, den dumpfen Aufschlag seines Körpers. Wir haben uns im Leben kein einziges Mal getroffen. Ich habe kein Gesicht zur Stimme. Warum also geht mir sein Tod so nah? Habe ich etwas falsch gemacht? Nicht die richtigen Worte gefunden? Hätte ich ihn nicht doch retten können? Aber wenn ja – wofür eigentlich? Wie mag es seine Frau wohl aufgenommen haben? Hat sie es geahnt? Oder traf sein Tod sie völlig unvorbereitet? Wie wird sie den Kindern das Unbegreifliche erklären, falls es welche gibt? Mit welchem Recht hat Didi mich zum Zeugen seines trostlosen Endes gemacht? Warum gerade mich? Und umgekehrt: Woher nahm ich das Recht, einem Todgeweihten den Selbstmord zu verweigern? Was wäre geschehen, wenn …
    Stopp! Ich rufe mich selbst zur Ordnung. Selbst der beste Psychologe und der schnellste Notarzt können einen Selbstmord nicht verhindern, wenn ein Mensch sich einmal für diesen Weg entschieden hat. Und Didi hatte sich entschieden. Das muss ich, das müssen alle akzeptieren. Und ich höre wieder sein heiseres Lachen: »Verstehste, Alter?« Ja, Didi. Ich glaube, ich verstehe.

Der Dachstuhlbrand
    Wenn mich jemand im Nachhinein gefragt hätte, was mich bei diesem Anruf stutzig gemacht hat, dann müsste ich ehrlich antworten: Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung. Man kann es Bauchgefühl nennen oder auch Vorahnung. Es war eben nur so ein komisches Gefühl. Und damit lag ich – wie sich im Nachhinein erwies – goldrichtig.
    Es ist ein Mittwoch, der 23. Dezember, morgens um neun Uhr. Der letzte starke Einkaufstag vor dem großen Fest der Liebe. Da meldet sich ein Arbeiter, der im Dachboden eines berühmten Münchner Feinkostgeschäftes mit Abdichtarbeiten beschäftigt ist. Dabei hat er hinter einer Holzverkleidung einen kleinen Brand verursacht. Nichts Schlimmes – meint er. Aber er ist sich trotzdem unsicher, was er jetzt machen soll.
    »Was hat denn da wie groß gebrannt? Und wie haben Sie das gelöscht?«
    »Ich habe einen Kübel Wasser auf die Verkleidung gegossen. Meinen Sie, dass das reicht?«
    Bin ich Hellseher, oder was?
    »Ich meine schon.«
    Ich denke kurz nach und entscheide mich dann doch anders.
    »Wissen Sie was? Ich schicke Ihnen doch vorsichtshalber ein paar Kollegen vorbei, die nach dem Rechten schauen. In Ordnung?«
    »Ach, ich weiß nicht. Es raucht ja nichts mehr. Das Feuer ist sicher längst aus. Ich glaube nicht, dass das noch notwendig ist …«
    »Ich glaube aber, es ist trotzdem besser, wir schauen mal selbst nach.«
    »Ich will ja keine Umstände machen. Aber wenn Sie meinen. Vielleicht wäre es wirklich ganz gut …«
    Die Erleichterung in seiner Stimme bestätigt mich darin, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Und so rücken die Kollegen mit einem Löschfahrzeug aus. Noch während sie auf der Anfahrt sind, melden schon die ersten Anwohner nahezu gleichzeitig eine verdächtige Rauchentwicklung aus dem Dach des Feinkostgeschäftes. Von wegen nichts Schlimmes. Auf der Stelle alarmieren wir zwei Löschzüge samt Führungsdienst.
    Sie kommen gerade noch rechtzeitig, um eine Ausbreitung des Feuers im Dachgeschoss über den Büros des Unternehmens zu stoppen. Der Schaden ist erheblich, aber noch überschaubar. Selbst die Kunden bekommen von dem Einsatz nicht allzu viel mit, wundern sich lediglich über die Schlauchleitung und die vielen roten Einsatzfahrzeuge. Laden und

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