Notruf 112
gewählt hat. Bei der Überwindung italienischer Sprachbarrieren sind stets unsere befreundeten Kollegen der Berufsfeuerwehr Bozen/Südtirol behilflich. Zur Wiesn-Zeit sind an diesem Italiener-Wochenende sogar immer drei Bozener Kollegen bei uns und können sich jederzeit in das Gespräch einschalten. In solchen Dreiertelefonkonferenzen haben sie uns und ihren in Not geratenen Landsleuten schon oft hervorragende Dolmetscherdienste geleistet.
Diesmal kann ich kaum glauben, was der Kollege mir da übersetzt. Unser Mann hockt offenbar in einem Keller – eingesperrt! Wie er nach dem ausgedehnten Wiesnbesuch dorthin geraten ist, weiß er angeblich selbst nicht mehr. Immerhin hat er noch sein Handy, das sich jedoch wegen der ausländischen Nummer nicht orten lässt. Wie sollen wir ihn also finden? Mit größter Geduld entlockt der Kollege aus Südtirol ihm einige Details, die er mir dann nach diversen Nachfragen übersetzt: »Also: Er heißt Matteo und sitzt in einem dunklen, leeren Keller mit einem hohen Fenster. Das ist verschlossen. Er kommt da von unten nicht dran. Er muss wohl in der Nähe des Oktoberfestes sein, denn er hört die Fahrgeschäfte und die Musik. An seinem Fenster laufen viele Leute vorbei. Vor dem Fenster steht ein Wohnmobil und dahinter ein weißes Haus mit blauen Fensterrahmen. Hilft dir das weiter?«
Ach du dickes Ei. Das ist ja wohl eher eine rhetorische Frage. In der Umgebung des Oktoberfestes stehen immer Hunderte Wohnmobile. Den einzigen Anhaltspunkt bietet das Haus mit den blauen Rahmen. Wo könnte das stehen?
Die Theresienwiese, auf der alljährlich das Oktoberfest stattfindet, liegt mitten in der Stadt, umgeben von Wohn- und Geschäftsvierteln, in denen Zehntausende Menschen leben und arbeiten. Ich schicke also als erste Maßnahme ein paar Kollegen zur Erkundung aus. Leider zunächst ohne Erfolg. Der Bozener Kollege hält derweil Kontakt zu Matteo, der mittlerweile aufgehört hat zu fluchen und es anscheinend langsam mit der Angst zu tun bekommt. Außerdem hat er Durst und Hunger und seine Laune sinkt – im wahren Sinne des Wortes – in den Keller. Als ich gerade die Polizei einschalten will, kommt zum Schichtwechsel um 17 Uhr ein Kollege, der kurz stutzt und dann zu unser aller Überraschung sagt: »Ich glaube, ich weiß, wo das ist!« Nur wenige Tage zuvor hat er in einem Wohn- und Geschäftshaus im Münchner Bahnhofsviertel Leute aus einem stecken gebliebenen Aufzug befreit. Dieses Haus liegt nahe der Wiesn. Und es hat blaue Fensterrahmen! Heureka!
Mittlerweile ist leicht eine Stunde vergangen. Weil es das Meldebild »Betrunkener Italiener in Keller« in unserem System nun mal nicht gibt, entschließen wir uns für die diskrete Umschreibung »Kranke Person in Wohnung«. Dann wird der Zugführer instruiert, das weiße Haus mit blauen Fensterrahmen zu suchen. Denn die Hausnummer haben wir immer noch nicht. Er findet es jedoch in Rekordzeit. Zehn Minuten später stolpert der völlig derangiert wirkende Matteo aus seinem Verlies und will nur noch in sein Hotelbett. Vorher allerdings muss er der Polizei erklären, wie er in diesen Keller geraten ist. Er bleibt allerdings bei seiner Version, sich an nichts erinnern zu können …
Wir Feuerwehrleute sind selbstverständlich genauso neugierig wie der Rest der Welt. Und natürlich diskutieren wir in der Folge die infrage kommenden Möglichkeiten durch und einigen uns schließlich darauf, dass sich Matteo in diesem Keller wahrscheinlich auf ein kleines, pikantes Wiesn-Abenteuer eingelassen hat, das dann irgendwie aus dem Ruder gelaufen sein muss.
Ein paar Tage später meldet sich erneut ein Italiener, der es ebenfalls fertiggebracht hat, sich in einen Keller einschließen zu lassen. Im Gegensatz zu Matteo weiß er aber immerhin noch, wo er ist.
Wie gesagt, ich frage mich wirklich manchmal, wie es Menschen schaffen, sich in die unmöglichsten Situationen zu bringen …
Der Asthma-Anfall
Der Notruf kommt mitten in der Nacht um drei Uhr. Eine Frau namens Hilde Fender, sehr schwer zu verstehen. Sie pfeift buchstäblich aus dem letzten Loch. Nach jedem Atemzug gibt sie ein extrem pfeifendes Geräusch von sich. Zusammen mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer erscheinen auf meinem Display ihr Wohnort und die Adresse. Eine große Hilfe für uns in Notfällen wie diesem. Doch blind vertrauen dürfen wir diesem System nie. Denn manchmal dauert es nach einem Umzug bis zu ein Jahr, bis die neuen Adressdaten übertragen werden. Es ist also zwingend
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