Notruf 112
schon immer so gemacht hätten. Die Führungskräfte der Freiwilligen Feuerwehr saßen ebenfalls in der Örtlichen Einsatzleitung, während rund 400 Männer und Frauen draußen Erkundungs-, Kurier- und Lotsenfahrten auch auf dem Motorrad unternahmen. Mit Lautsprecheranlagen fuhren sie stundenlang durch die Straßen und halfen bei der Evakuierung der Bewohner. Während der späteren Sprengung besetzte die Freiwillige Feuerwehr die Wachen der Berufsfeuerwehr und war selbst mit sechs Löschzügen vor Ort.
Doch so weit waren wir in der Nacht zu Dienstag noch nicht, als einer der größten Feuerwehreinsätze nach dem Krieg anlief. Unsere rollende Einsatzzentrale – das 13 Meter lange und 15 Tonnen schwere Katastrophen-Einsatzleitfahrzeug (KELF) – war bereits um 17 Uhr an die Münchner Freiheit verlegt worden. Im Fernmelde- und Besprechungsraum haben die gesamte Einsatzleitung und fünf Disponenten Platz. Auf einen Monitor können Hubschrauberbilder live übertragen werden. Der Münchner Oberbürgermeister und sämtliche Sicherheitsexperten der Stadt, der Ordnungsbehörde und der Polizei fanden sich dort ein.
Mit Polizeieskorten wurden mittags zwei Sprengmeister aus Oranienburg und Thüringen nach München geleitet. Diese beiden Experten haben in Deutschland wahrscheinlich die größte Erfahrung mit diesem US-Bombentyp, der in Bayern bislang höchst selten und eben noch nie mitten in einer Stadt gefunden worden war.
Die Möglichkeit einer Entschärfung vor Ort war nach Einschätzung der Experten eher gering. Wir trafen zunächst gewaltige Vorkehrungen, um die Folgen der zu erwartenden Explosion so gering wie möglich zu halten. Zwei Tage lang stapelten 100 Freiwillige des Technischen Hilfswerks (THW) direkt neben der Bombe einen Wall aus 10.000 Sandsäcken. Jeder Einzelne von ihnen wiegt 15 bis 20 Kilogramm. Ein hoher Erdhügel wurde zur Straße hin aufgeschüttet, um den Explosionsdruck nach oben abzuleiten und die Häuser gegenüber damit zu schützen. Eilends zusammengezimmerte, dicke Holzverschalungen wurden vor die Schaufenster und Türen geschoben. Zwölf große Wagenladungen voller Stroh wurden innerhalb kürzester Zeit in die Stadt gebracht. Für diese Mengen hatten unsere Disponenten und auch die Kollegen von der Freiwilligen Feuerwehr ihre Beziehungen zu den Landwirten rings um München spielen lassen. Stroh ist nämlich ein perfekter Dämmstoff. Kein anderer Stoff ist so leicht und elastisch und nimmt so viel Energie auf wie Stroh. Eine 100 Kilometer weit von München entfernte Spezialfirma lieferte binnen kürzester Frist Sprengmatten – tonnenschwere, etwa 20 Quadratmeter große Matten, die normalerweise bei Abrisssprengungen verwendet werden, um Nachbargebäude zu schützen. Sie bestehen aus einem fingerdicken, in Gummi gegossenen Stahlseilgeflecht und wurden zur Verstärkung auf den Sprenghügel gelegt.
Im engen Kreis sprachen die Sprengmeister Klartext. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen normalen Entschärfung tendierte gegen null. Das bestätigte sich bei der näheren Besichtigung. Denn der Zünder war völlig verrostet. Die allerkleinste Bewegung hätte die Bombe unkontrolliert in die Luft fliegen lassen können. Die beiden zuständigen Männer haben schon über 100 Bomben dieses Typs bearbeitet. Und alle waren voll funktionstüchtig gewesen.
Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, die Druckwelle nicht nach oben, sondern in den Boden abzuleiten. Auch diese Idee wurde rasch verworfen: Direkt unter der Bombe verlief nämlich der U-Bahn-Tunnel, zudem war das Grundwasser sehr nahe. Wasser ist nicht komprimierbar und leitet den Druck direkt weiter. Die Folge hätte eine unterirdische Druckwelle mit unkalkulierbaren Folgen für die U-Bahn-Röhre sein können. Zudem war die Untergrundbeschaffenheit denkbar ungeeignet und alle Häuser ringsherum hätten einstürzen können. Die Kampfmittelräumer sahen am Ende nur noch eine Möglichkeit: die Bombe steil nach oben in die Luft zu jagen.
In den Stunden vor der Sprengung wurde der Sperrring auf einen Kilometer ausgeweitet, weil Trümmer und glühende Splitter der Bombe bis zu 750 Meter weit durch die Gegend fliegen würden.
Die Sprengung selbst sollte dann mithilfe des Sprengstoffs TNT erfolgen, den die Sprengmeister unter Lebensgefahr an der Bombe angebracht hatten und aus einer Entfernung von etwa 150 Metern, hinter einer Wand liegend, per Fernzündung auslösen würden. Ursprünglich am frühen Abend geplant, musste die Sprengung jedoch
Weitere Kostenlose Bücher