Notruf 112
mehrfach verschoben werden, weil sich immer wieder Menschen im Sperrgürtel befanden.
Um 21.54 Uhr schließlich erfolgte die gigantische Explosion. Ein riesiger Feuerball schoss in den Nachthimmel über Schwabing. Die Druckwelle ließ das KELF in 300 Metern Entfernung schaukeln wie ein Blatt im Winde – ein wirklich mulmiges Gefühl für alle, die da drinnen saßen. Am Fahrzeug daneben schlug ein großes Trümmerstück eine Delle ins Dach. Noch in mehreren Kilometer Entfernung vibrierte der Boden. Wir waren gut vorbereitet auf das, was jetzt passierte. Denn das Stroh flog – wie von den Sprengmeistern prophezeit – brennend durch die Luft und landete auf den Dächern ringsherum. Schreckensmeldungen jagten durch die Stadt: »Schwabing brennt!« Nur lauter Strohfeuer glücklicherweise, die sofort gelöscht wurden und nicht auf die Dachstühle übergriffen. Zu Hunderten verwendeten die Kollegen alle Kraft darauf, die Brände in dem verwüsteten, von Scherben übersäten Straßenzug so schnell wie möglich zu löschen. Freundlicherweise kam uns auch noch der Himmel zu Hilfe: Es regnete kräftig. Inmitten des Einsatzchaos saßen unsere Sprengmeister schweigend und schweißüberströmt, aber sehr erleichtert am Straßenrand. Sie wussten, dass sie gute Arbeit geleistet hatten, und waren heilfroh, dass ihre düstersten Befürchtungen nicht eingetreten waren. Sie hatten mit weitaus schlimmeren Schäden gerechnet.
Noch in der Nacht schlug die Stunde der Tüftler und Klugscheißer: Aus dem gesamten deutschsprachigen Raum meldeten sich selbst ernannte »Experten«, die ihre hirnrissigen Theorien in Blogs und Netzwerken ungefragt übers Land posaunten und zum Teil sogar die Presse mit ihrem Unfug infizierten. Ein Beispiel: »Wieso haben diese sogenannten Fachleute das Stroh nicht mit Wasser durchtränkt? Könnte mal einer der Münchner Feuerwehr erklären, dass Stroh brennt?« Bei Explosionstemperaturen von mehreren Tausend Grad ist das ein geradezu rührender Gedanke.
In einer bemerkenswerten, nicht ganz ernst gemeinten Rede vor der versammelten Münchner Stadtprominenz erläuterte der Chef der Münchner Berufsfeuerwehr, Oberbranddirektor Wolfgang Schäuble, einige Monate später seine persönliche Hitliste der dümmsten Anfragen.
Zum Thema »Bombe und Stroh« befragte er die anerkannt erste Instanz zur seltsamen Beantwortung ernst gemeinter Fragen:
»Anfrage an Radio Eriwan. Ist es richtig, dass Stroh brennt und leicht ist und man es deshalb nicht mit Feuer und Wind zusammenbringen sollte und es somit zum Abdecken einer Bombe ungeeignet ist und sich Wasserbehälter oder schwere Erdaufschüttungen besser eignen?«
Dazu die Antwort von Radio Eriwan: »Im Prinzip, ja! Aber nicht, wenn unter der Bombe das Grundwasser, welches Druckwellen ungehindert weit tragen kann, ansteht. Denn sonst gibt es viele Fundamentschäden in der Umgebung und daraus resultierend Einsturzgefahr für die Häuser. Auch dann nicht, wenn ein für die Infrastruktur lebenswichtiger U-Bahn-Kreuzungsbahnhof namens Münchner Freiheit in direkter unterirdischer Nachbarschaft liegt. Dann ist es besser, den Druck durch leichtes Material nach oben wegzuleiten. Dazu nimmt man Sand und Stroh, das schnell überall verfügbar ist. Man macht es auch nicht nass, denn sonst wird es wieder schwer. Alles andere stimmt.«
Der Saal applaudierte amüsiert.
Es kam noch besser. Schäuble nämlich widmete sich nun zwei von vielen ernst gemeinten Vorschlägen, die die Feuerwehr in jenen Tagen erreichten.
Vorschlag Nummer eins: »Die Lösung ist ganz einfach: Man errichte um die Bombe herum einen nach oben offenen, fünf Meter hohen Stahlring. Dieser muss einen Durchmesser von 20 Metern aufweisen und eine Wandstärke von 30 Zentimetern besitzen, damit die Druckwelle ohne Schaden abgeleitet werden kann.«
Superidee! Dazu Schäubles Kommentar: »Schade, dass die Bombe so spät gefunden wurde. Denn mit diesem Auftrag hätte sich die Maxhütte noch mindestens ein halbes Jahr länger vor dem Konkurs bewahren lassen. Auch Transporteure und Schweißunternehmer hätten ihre helle Freude gehabt.«
Der Saal applaudierte begeistert.
Und dann kam der Brüller, vorgeschlagen von einem 89-jährigen Installateurmeister, der betonte, dass er der Münchner Feuerwehr als Fachberater jederzeit zur Verfügung stehe, damit die Sache beim nächsten Mal professioneller über die Bühne gehe. Sein Lösungsvorschlag: »Es ist doch einfach. Man nimmt einen Rohrfroster, wie er im Heizungsbau
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