NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
weitere
Städte für unabhängig erklärt und die Beziehungen zur Union abgebrochen. Von
der Energiezuteilung, die sofort unterbunden wurde, zeigten sie sich weitgehend
autonom. Sie orientierten sich nach unten und erschlossen Erdwärme im großen
Stil. Selbst in den Siedlungen, die offiziell noch von der Union kontrolliert
werden, gibt es inzwischen ganze Viertel, die Wärmetauscher bis in den äußeren
Erdmantel vortreiben, um der Gängelung durch die Zentralregierung zu entgehen.
Also lieber was Fachliches. Ich blätterte die Meldungen im Seismic Journal
durch. Seit wir das Jupiter-Minimum überstanden hab-en, beruhigt sich die
Situation etwas. Allerdings werden immer noch tausende von tektonischen
Störungen jeden Tag registriert, die meisten naturgemäß rund um den Pazifik, wo
die Menschheit den alten Feuergürtel aus eigenen Kräften weiterschürt. Ich sah
noch die neuesten Eisstandmeldungen durch und kehrte in die Gaststube zurück.
„Und, die neuen
Daten eingesehen?“, rief mir Steffens entgegen, als sei ich ein alter Kumpel.
„Das Schlimmste haben wir überstanden.“
„Die tektonische
Situation ist keineswegs überschaubar“, gab ich zurück und setzte mich zwischen
ihn und Ricarda. Die Schildkrötenschnäbel ihrer Hände zogen sich in die
faltigen Panzer zurück.
„Die Erdkruste ist
in geologischer Zeit niemals Ereignissen von solcher Heftigkeit ausgesetzt
gewesen. Wir haben noch keine Ahnung, wie die Kontinentalplatten darauf
reagieren. Es kann Jahrhunderte und Jahrtausende dauern, bis sich abzeichnet,
was wir der Lithosphäre wirklich zugemutet haben.“
„Glauben Sie?“,
fragte er mit jovialem Unterton. Ich kam mir wie ein Schuljunge vor, der auf
eigene Faust heraus zu spekulieren versucht hat, was in den Büchern steht. Der Herr
Lehrer schenkte Ricarda und sich heißen Grog nach. Ich ließ mir eine Kanne
Buttertee bringen.
„Es waren doch nur
ein paar Wochen, dass Mutter Erde ein bisschen durchgewalkt wurde. Ich bin
überzeugt, dass das ohne längerfristige Wirkungen bleibt. Die Mess-ungen der
letzten Monate ...“
„Zeigen eine leichte
Abnahme der seismischen Aktivitäten, da gebe ich Ihnen Recht. Aber sie zeigen
auch eine Verlagerung. Innerhalb der Kontinentalplatten, wie hier in
Zentralasien, scheinen erhebliche Spannungen zu bestehen, über deren
Ursachen wir keinerlei Hypothesen haben. Wir bräuchten viel mehr mobile Trupps
hier draußen. Auch Geophysiker, die Tiefenbohrungen und tieferreichende
Sprengungen durchführen. Unsere experimentelle Knallerei bleibt doch nur an der
Oberfläche.“
„Sie können ja einen
Antrag stellen.“
Und er grinste
Ricarda an, als hätte er einen besonders guten Witz gerissen.
„Wir von der
Vereinigung der privaten Stationen haben kein Geld für so etwas. Wir mussten
übrigens auch die Personaldecke ausdünnen.“
„Wir auch“,
versuchte ich zu kontern, aber meine ehemalige Kollegin fiel mir ins Wort.
„Ja, aber aus
Gründen der, wie nennst du das? - Psychohygiene!“
„Drei Mann pro
Schicht sind mehr als genug. Frag mal Dr. Steffens, wie seine Station besetzt
ist.“
Er ging bereitwillig
darauf ein. „Gegenwärtig ist mein Kollege allein drüben. Er macht sechzehn
Stunden Dienst am Tag und vertraut ansonsten der Automatik. So viel ist im
Routinebetrieb wirklich nicht zu tun. Und die Außenaktivitäten kann man ja mit
den angrenzenden Stationen absprechen. Gut nachbarschaftlich sozusagen. Deshalb
bin ich übrigens hier, aber der Leiter dieser Station lässt sich bis jetzt
verleugnen.“
„Er ist auf
Exkursion“, schaltete sich Frau Lapkha freimütig ein. Sie stellte ein Tablett
mit Reisgebäck auf den Tisch.
„Allein?“ Ricarda
sah ungläubig aus dem Dampf ihres Grogs auf.
„Oh, er ist tagelang
da draußen unterwegs und kontrolliert seine Anlagen. Wie ein alter
Fallensteller.“
„Wir müssen raus und
ihn suchen“, schlug ich vor. Je verblüffter ich tatsächlich bin, umso schwerer
fällt es mir, Engagement zu heucheln.
„Der Luftdruck ist
den ganzen Tag gefallen, und es herrschen achtzig oder neunzig Grad unter
Null.“
„Sie überschätzen
Ihre Möglichkeiten“, lächelte Steffens mich an, „und unterschätzen den Alten.
Er ist ein sibirischer Bär, dem auch hundert Grad Frost nichts ausmachen. Er
zieht einen zweiten Overall an und stiefelt los, meilenweit über das Große
Plateau, wo er irgendwelche geheimnisvollen Apparate stehen hat. Ich glaube,
selbst Frau Lapkha weiß nicht, was er da draußen treibt.“
Es
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