NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
kommen, sehr umgänglich
sein können, nach außen hin aber bewusst eine Aura der Unnahbarkeit wahren.
Unterdessen ging das
Gespräch an unserem Tisch weiter. Steffens hatte angefang-en, die Spekulationen
über eine Evakuierung aufzuwärmen, die spätestens seit zehn Jahren nur noch im
Irrealis der Vergangenheit geführt werden konnten.
„Es gibt wohl immer
noch Leute“, hielt er seine Person elegant aus den Vorwürfen heraus, „die
behaupten, es sei sinnvoller gewesen, die Menschheit auf eine der externen
Basen, am ehesten wohl auf den Mars zu evakuieren. Ich muss zugeben, es gibt
schlaflose Nächte - früher hätte man den Vollmond zur Rechenschaft gezogen -,
in
denen ich versuche, mir unsere augenblickliche Situation zu vergegenwärtigen,
und in denen ich mich frage, ob sie nicht Recht gehabt haben könnten.“
„Man hätte ihnen
zumindest Gehör schenken müssen“, pflichtete Ricarda bei und knetete ihre
Hände, die einen rosigen Glanz angenommen hatten. „Am besten wäre es gewesen,
ein Referendum abzuhalten, statt den Zentralen Rat allein die Entscheid-ung
treffen zu lassen.“
Dabei sind das
Vorgänge, an die sie sich bestenfalls aus dem Schulunterricht erinnern kann,
kaum aus eigener Anschauung. Mir wurde wieder bewusst, wie jung sie war. Der
Altersunterschied zwischen uns beträgt kaum zehn Jahre. Aber es sind gerade die
zehn Jahre seit dem, was auch in offenen Diskussionen nur als „Das Ereignis“
angesprochen wird, die uns trennen und die sie im Grunde einer anderen
Generation angehören lassen. Wir, die heute über Dreißigjährigen, haben den
Epochenschnitt miterlebt, während das Bewusstsein der jüngeren erst nach
Einführung der neuen Zeitrechnung erwachte.
„Der Aufwand wäre
immens gewesen“, warf ich aus reiner Langeweile ein. „Selbst die Evakuierung
der 900 Millionen, die heute zur Bevölkerung der Union zu rechnen sind, hätte
die Kapazitäten an Raumschiffen um ein Vielfaches überfordert. Ganz abgesehen
davon, dass wir nicht wissen, ob die Basen auf dem Mars bis zu solchen
Dimensionen hätten erweitert werden können.“
„Die Anlage im
Pazifik dürfte auch nicht umsonst zu haben gewesen sein“, entgegnete Steffens.
Er schien zu den Männern zu gehören, die Widerspruch, noch dazu in Gegenwart
attraktiver Damen, nur schwer verkraften. „Ich gehöre nicht zu den
Privilegierten, die sie haben in Augenschein nehmen dürfen, aber ich bin über
die Ausmaße dieser Reaktoren informiert. Der Aufwand, eine Milliarde Menschen
zu evakuieren, wäre kaum größer ausgefallen.“
„Sie vergessen,
womit diese - wie Sie etwas verharmlosend sagen - Reaktoren betrieben werden.
Auf dem Mars gibt es kein Wasser.“
„Wenn man Wasser
thermonuklear verbrennen kann, warum sollte man nicht auch Sand oder
atmosphärische Gase ...“
„Sie spekulieren“,
wandte sich der Alte an Steffens. Er hatte sich auf seinem Barhocker
herumgedreht, dessen Sitzfläche fast einen Meter höher lag als unser Tisch.
„Sie grübeln sich an Dingen ab, die längst entschieden und in eiskalte Realität
umgesetzt worden sind - und zwar auf irreversible Weise. Die Vorstellung, es
könne ein Zurück geben, war noch nie so inhaltsleer wie heute.“
„Gerade deshalb
müsste man die Ursachen und Mechanismen der damaligen Entscheidungsfindung
analysieren. Entschuldigen Sie meine Aufgebrachtheit. Fast täglich sehen wir
zu, wie große Städte im Süden sich von der Union ablösen. Ein Grund dafür
könnte in der mangelnden Legitimation des Zentralen Rates zu suchen sein, und
in der Anfechtbarkeit der Handlungen, die er veranlasst hat - und die, da
dürften Sie allerdings recht haben, unumkehrbar sind.“
„Und deren Folgen
wir alle ausgesetzt sind, Steffens. Auch die Anarchisten in Lesotho und New
Spain. Dieser Tatsache ist man sich im Rat bewusst. Sie gehen davon aus, dass
dort leichtfertig über das Schicksal des Planeten gewürfelt worden sei.
Unterschätzen Sie nicht die Kapazitäten, die dem Rat zur Verfügung stehen und
die bei der Entscheidung, die Anlage im Pazifik zu bauen, berücksichtigt worden
sind.“
„Wenn man Sie so
reden hört, könnte man meinen, Sie hätten selbst dem Rat angehört, bevor Sie
sich hier vergraben haben.“
„Das nun gerade
nicht“, murmelte der Alte noch, und damit vertiefte er sich wieder in den
flackernden CommCorder. Pâ räumte auf ein energisches Zeichen hin das Geschirr
weg und brachte ein klobiges Glas, aus dem er einen klaren Schnaps
hinuntergoss.
„Ich
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