NOVA Science Fiction Magazin 20
Brief, wie lustig. Deswegen werden auch wir
von unseren Lesern im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen. Diejenigen, die es
ernsthaft versuchen, wollen wirklich was von uns. Werner hatte den Brief
gleich für authentisch gehalten. Ich auch.
Als
die „First Church of Porn“ sich in der Hauptstadt ansiedelte, dachte ich zuerst
an den Scherz eines Sexkonzerns, oder wer sonst auch immer genug Geld hatte, um
so was durchzuziehen. Es war schon ungewöhnlich, dass sich das Ganze als
„Kirche“ bezeichnete, aber genau das machte mich so sicher: alles
Publicity-Remmidemmi.
Richtig
genial fand ich dann die weitere Strategie. Keine Interviews, keine Fotos,
keine Pressekonferenzen, nichts. Natürlich versuchte auch meine Zeitung, an die
Leute ranzukommen. Es ist sogar möglich, dass einige freie Fotografen, die für
uns arbeiten, dazu angestiftet wurden, Fotos nach Hause zu bringen, koste es,
was es wolle. Gab da so Gerüchte. Alles, was sie nach Hause brachten, waren
schmerzende Handgelenke und Hausverbote – die Gorillas der Kirche waren
unglaublich umsichtig, selbst mit fiesen Paparazzi-Methoden und Minikameras war
wenig zu wollen. Die wenigen scharfen Fotos, die angeblich aus Gottesdiensten
der Kirche stammten, erwiesen sich schnell als Fälschungen.
Ich
dachte immer noch: virales Marketing. Ein klassischer Aufmerksamkeitstrick,
ungewöhnlich konsequent durchgehalten. Erst so nachdrücklich provozieren, wie
es nur geht, dann die Klappe halten und sich rar machen. Allerdings, es war
schon verwunderlich. Es gab keine Politikerskandale, keine lancierten
Medienberichte, keine gekauften Kollegen, man hörte auch gar nichts von wilden
Parties oder sonstigen Veranstaltungen hinter den Kulissen, bei denen dann
Klartext über den eigentlichen Zweck der Übung geredet wurde. Es gab im Grunde
nichts als die Kirche selbst, und eine Website, die zu den sparsamsten des
ganzen Internets gehörte: Adresse, Telefonnummer, Zeit und Ort der
Gottesdienste, „um Voranmeldung wird gebeten, Mindestalter: 21 Jahre“.
Es
war nicht so sehr ein öffentlicher Skandal, der die Church of Porn umgab, als
eine gewisse Beunruhigung. Die christlichen Kirchen sprachen von „Sekte“, wenn
sie die komische Konkurrenz nicht einfach nur lächerlich machen wollten. In den
Medien wechselten sich die wildesten Spekulationen über die Gottesdienste der
Church mit besorgten Artikeln über die Probleme des Jugendschutzes ab, man
begegnete dem Phänomen mit einer gerunzelten Stirn, hinter der die üblichen
Phantasien abliefen. War bei mir gar nicht anders.
Dann
kam also der Brief. Die First Church of Porn teilte meiner Zeitung mit, dass
sie die geeignete Publikation zur Veröffentlichung eines exklusiven
Hintergrundberichts über Struktur, Ziele und Charakter der Kirche sei. Und ich
solle ihn schreiben. Eine Kamera dürfe ich auch mitbringen. Die Telefonnummer
hatte eine seltsame Vorwahl.
Das
war genau der Moment, in dem ich die Kirche ernst zu nehmen begann. Mir ging
auf: Das waren vielleicht Spinner, aber sie hatten einen Plan.
Ich
habe in meiner Zeit als Journalist schon einige Male mit religiösen
Funktionären zu tun gehabt. Ab einer gewissen Hierarchiestufe ist der Umgang
mit ihnen sehr leicht: Da sie weltgewandt und unverkrampft wirken wollen,
bemühen sie sich um Weltgewandtheit und Unverkrampftheit. Gut, es gibt
natürlich auch die Fanatiker und die harten Sektenheinis, aber im Großen und
Ganzen klappt das schon. Wenigstens solange mein Diktiergerät läuft.
Hier
war ich jetzt verunsichert. Aber das erste Telefonat war okay, mehr als okay.
Mein Gesprächspartner wollte nicht sympathisch sein, er war es.
Selbstsicherheit ohne Verkrampfung, Lockerheit ohne Anbiederung. Ich war gleich
für ihn eingenommen. Erst ein paar Sätze verbales Aufwärmtraining, dann seine
Frage:
„Wie
machen wir das denn jetzt mit unserem Treffen?“
„Keine
Ahnung“, entgegnete ich. „Schlagen Sie was vor.“
„Also“,
sagte er. Leicht zögernd, wie ich zu hören meinte. „Am Sonntag ist
Gottesdienst. Unser Hochamt. 10.00 Uhr. Und vorher könnten wir uns doch noch
ein wenig unterhalten.“
„Klingt
gut.“
„Na
dann machen wir das doch.“
„Meinst
du, du schaffst das allein?“ Schon die Frage fand ich bescheuert. Die Haltung,
in der Werner sie vorbrachte, gefiel mir noch weniger. So sorgenvoll, so
bemüht. Als sei er ein Sporttrainer, der sich und einen unsicheren Kandidaten
auf die kommende Niederlage vorbereiten
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