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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf G. Hilscher
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warf ich ein. „Wer ist denn eigentlich mit ‚wir’ gemeint?
Wer trifft denn die Entscheidungen in der Church of Porn?“
    „Die
Bischofskonferenz, in Abstimmung mit der amerikanischen Mutterkirche und allen
Gläubigen. Über jeden Beschluss der Landeskonferenz Deutschland wird einerseits
in Nashville beraten, und andererseits von allen Gläubigen der betroffenen
Bistümer abgestimmt. Alle müssen einverstanden sein. Bei Unstimmigkeiten
zwischen der amerikanischen Führung und den hiesigen Gläubigen entscheiden die
Gläubigen.“
    „Da
kommen doch eine ganze Menge Entscheidungen zusammen, denke ich?“ Es gelang mir
einfach nicht mehr, meine Stimme von Spott frei zu halten.
    „Bis
zu zehn pro Tag“, sagte Bischof Miersch. „Der Rekord lag bei 24, aber das ist
schon eine Weile her.“
    „Ach?“
Nicht blöd grinsen, dachte ich. Er steigt aus, wenn du ihn merken lässt, dass
du ihm kein Wort glaubst.
    „Ich
denke, man könnte uns auch als eine Internetkirche bezeichnen. So viele
demokratische Entscheidungen an einem Tag wären ohne das Internet gar nicht
möglich. Wir haben dazu eine spezielle Software namens Aggregator entwickelt.
Sie wird von einigen Regierungen in verschiedenen E-Government-Szenarien
erprobt und schlägt sich ausgezeichnet.“
    „Aggregator?“
    „Genau.
Ich habe ja keine Ahnung von diesem Computerzeug, aber die Fachleute sagen,
diese Software ist gut. Könnte ein Standard werden.“
    „Andere
Frage. Wie sind Sie persönlich denn zur Kirche gekommen?“
    „Wie
die meisten von uns. Über die Website. Das hat mich natürlich interessiert,
dass die so karg war, so – unpornographisch, wenn man will. Danach kam alles
andere.“
    „Und
das war vor …?“
    „Etwa
zwei Jahren.“
    „Steiler
Aufstieg!“ Ich bereute den Ausruf sofort: Ein Schatten flog über das Gesicht
des Bischofs. Das Thema hatten wir schon gehabt, und der Bischof ließ sich
ungern langweilen. Er schwieg
    „Sie
sagen, Sie haben 40.000 Mitglieder. Die großen Kirchen leben in Deutschland von
Kirchensteuer. Was zahlen denn ihre Mitglieder so im Durchschnitt?“
    „Kein
Durchschnitt“, erwiderte er milde. „Die Mitgliedschaft in der Church of Porn
setzt die Bereitschaft voraus, zehn Prozent des Nettoeinkommens an die Kirche
abzuführen.“
    Wie
gerne ich jetzt einen Notizblock dabeigehabt hätte, um meine Gedanken und
Gefühle besser zu kontrollieren. Das wäre so praktisch gewesen. „Sekte!“,
dachte ich. „Das mit dem Zehnten kennt man doch von Sekten!“ Und der kleine
dumme Teufel in mir fand die Formulierung von der „Mitgliedschaft in der Church
of Porn“ so umwerfend komisch, dass er laut losprusten wollte. Ganz unbedingt.
Theresa hatte mich ja immer für primitiv gehalten.
    „Ja“,
sagte ich dann, nur um den Lachanfall zu verhindern, „ja, das wäre dann so weit
alles bis jetzt. Wir wollten ja noch Ihr … Ihren Andachtsraum selbst
besichtigen.“
    „Gotteshaus“
hatte ich sagen wollen. Und gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt. Bei
„Gotteshaus“ wäre der Lachanfall unvermeidbar geworden.
    Miersch
stand bereitwillig auf, er lächelte breit, er grinste beinahe.
    „Gerne.“
     
     
    In
der Kirche war alles normal. So normal, dass ich mich zu fragen begann, was der
Laden eigentlich mit Pornographie zu tun hatte. Ein Altar, Kirchenbänke, Kunst
an den Wänden. Es fiel nicht gleich auf. Ich musste zweimal hinsehen. Die Kunst
an den Wänden stellte nicht irgendwelche Bibelszenen dar, sondern
ausschließlich das eine. Der ganze Fleischsalat war da: Vorne, hinten, unten,
oben, einfach, mehrfach, sportlich-akrobatisch oder entspannt, das ganze
Programm. Das alles in den Stilrichtungen der geistlichen Tafelmalerei quer
durch die Jahrhunderte. So suggestiv war dieser Trick, dass sich die ewigen
Kreuzigungsszenen und Heiligendarstellungen wie ein Schleier über die
Pornokunst legten und fast verbargen, was auf den Bildern eigentlich zu sehen
war. Jedes dieser Bilder schien gleichzeitig mehrere Bilder zu sein, ein wenig
wie die Postkarten, die je nach Winkel zum Licht was Anderes darstellen. Die
Maltechnik war, soweit ich das erkennen konnte, absolut erstklassig. Diese
Bilder mussten ein Vermögen gekostet haben.
    „Trompe
l’oeil“, murmelte ich.
    „Der
Begriff fällt öfter, ja“, sagte der Bischof, der plötzlich neben mir stand.
Bleiglasgefiltertes Licht spiegelte sich in seinen Brillengläsern.
    „Und
fotografieren darf ich auch?“, fragte ich.
    „Aber
sicher. Das hatten wir ja

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