NOVA Science Fiction Magazin 20
geklärt.“
Schon.
Trotzdem hatte ich das Gefühl, etwas Unerlaubtes zu tun. Mein Herz klopfte. Die
Kamera zitterte in meinen Händen. Ich nahm eins der Bilder auf und noch eines.
Ich hätte alles knipsen gewollt, konnte auf die Schnelle kein Kriterium für die
Auswahl finden und beschränkte mich willkürlich auf etwa zehn Motive.
Der
Altar - Geschlechtsteile, alle Variationen. So fein gearbeitet wie von
Riemenschneider oder den anderen Herrgottsschnitzern, deren Namen ich vergessen
hatte. Das war, bei aller Eindeutigkeit, dezent, nahezu verschämt, viel weniger
auffällig als die indischen Tempelskulpturen, die mir als einziger Vergleich
einfielen. Die Kanzel – ja, es gab eine Kanzel, und sie sah nicht aus, als sei
sie bloß zur Dekoration da – Lustgesichter. Keine Tomi-Ungerer-Orgasmusfotos in
3D, sondern die existenzielle Pein der Gotik, manchmal mit herausgestreckter,
hechelnder Zunge oder in verkrampften Händen vergraben, in jedem Fall nicht auf
den Herrn im Himmel bezogen. Das, was ein echter Katholik „irdisch“ oder
„profan“ genannt hätte, war wiederum hinter einem Gazeschleier der Subtilität
verborgen, den der Kopf erst beiseite schieben musste, um zu begreifen, was er
sah.
Über
dem Altar hing nicht Jesus am Kreuz, sondern eine riesige Reproduktion des Origin
du monde von Courbet, die beiseite geschlagene Bettwäsche wie ein Kommentar
zu all den herabhängenden Lendentüchern des Heilands, die nie gelüftet worden
waren. Ich fotografierte im Kreis herum. Auf einer Empore am Ende des Saals
stand eine Orgel. Etwas, das einer Orgel glich. Der Bischof, der die ganze Zeit
nicht von meiner Seite gewichen war, bemerkte wohl mein zögerliches Interesse,
weil ich meine Kamera sinken ließ.
„Was
Sie da hinten sehen, ist eher ein Scherz. Ein Nachbau des Orgasmatrons aus Barbarella .
Funktioniert weder als Orgasmatron, noch als Musikinstrument. Ein Scherz, wie
gesagt.“
„Interessant“,
war das einzige, was mir einfiel.
Ich
untersuchte noch ein wenig den Blumenschmuck (mittlerweile sah ich in jeder
Calla ein Symbol), die Gebetbücher (ich schlug keines von ihnen auf) und die
Bleiglasfenster: scheinbar harmlose Szenen von Feldern, Wäldern, Wiesen und
Menschen bei den verschiedensten Tätigkeiten; es reichte vom Säen und Ernten
bis zum Programmieren und zum Bau von Hochhäusern.
„Jetzt
wird es dann langsam Zeit“, sagte der Bischof. „Ich muss Sie um Ihre Kamera
bitten.“
Sein
Lächeln war gütig. Er wirkte jetzt viel eher wie ein Kleriker.
„Aber
wir hatten doch vereinbart …“, begann ich protestieren.
„Nein,
nein, Sie verstehen mich falsch. Natürlich waren die Fotos, die Sie bis jetzt
gemacht haben, vollkommen in Ordnung. Aber gleich beginnt der Gottesdienst, und
ich muss die Privatsphäre der Gemeindemitglieder schützen. Es war schwer genug,
den Gemeinderat davon zu überzeugen, dass Sie an der Messe teilnehmen sollten.“
Während
ich die Kamera abstreifte, dachte ich kurz darüber nach, ob ich an der Messe
überhaupt teilnehmen wollte. Aber ich hatte im Grunde gar keine Wahl. Ich
machte einen Job hier, und der verpflichtete mich dazu, so einfach war das.
„Werden
Sie die Messe selbst halten, Herr Bischof?“, fragte ich.
„Ja.
Der Pastor ist krank.“ Lässig hielt er meine Kamera in der Hand. „Nehmen Sie
doch einfach Platz“, sagte er. „Ich muss mich noch umziehen.“
Ich
entschied mich, wie im Kino, für die vierte Reihe. Der Platz genau am
Mittelgang. Das hatte mehrere Vorteile: Ich konnte gut beobachten, aber im
Bedarfsfall auch schnell fliehen. Den Spießrutenlauf durch die Blicke der
Gläubigen musste ich bei einer eventuellen Flucht wohl in Kauf nehmen.
Die
Kirche füllte sich langsam. Was die Anhänger der Church of Porn anging, so
unterschieden sie sich von normalen Kirchgängern vor allem durch zwei Dinge.
Sie waren nicht gelangweilt. Sie freuten sich auf was. Man hatte nicht den
Eindruck, dass es hier um eine lästige Pflichtübung ging, sondern eher um eine
lang erwartete Theaterpremiere. Und dazu passte auch, dass die meisten von
ihnen Operngläser dabei hatten.
Der
Rest ist schnell erzählt. Nach einer langwierigen Liturgie mit häufigem
Aufstehen und Hinsetzen der Gemeinde, der Verlesung pornographischer Poesie und
Prosa, dem Absingen zweideutiger Lieder, deren genaue Bedeutung ich manchmal
gar nicht erfasste, kam es zum Höhepunkt der Veranstaltung. Nachdem Bischof
Miersch die Gemeinde mit erhobenen Händen zum Schweigen gebracht hatte –
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