NOVA Science Fiction Magazin 20
Kummerfalten wegen eines
störrischen Kindes.
Entspannt
erwiderte ich seinen Blick. Alkohol trank ich nie, meine Frau Eva litt synchron
zum tolerierbaren gesellschaftlichen Mittelwert an Depressionen, und Tim, mein
achtjähriger Sohn, las leidenschaftlich und zeigte keinerlei Symptome einer
kriminellen Veranlagung.
Nachdem
die meisten meiner Kollegen die Entwicklungen ihrer Patienten in einem
fremdwortgespickten Fachbericht geschildert und dabei Problemfälle hervorgehoben
hatten, kam ich an die Reihe.
Meine
Rede konnte ich sehr kurz halten, denn meine Patienten waren gehorsam. Ich
brauchte nie lange, um ihnen ihre Flausen von Träumen und Individualität aus
dem Kopf zu treiben, sie zu zähmen und ihnen meine Maxime begreiflich zu
machen: Man muss tun, was man tun muss.
Eva
servierte Kartoffeln, Buttersoße und Omeletts, setzte sich und feuerte einen
Teller gegen die Wand, wo er zerbarst. Tim hob die Nase aus seinem Buch – Trainspotting .
War das nicht …? Ach, was auch immer. Ich schaufelte mit einer Kelle Kartoffeln
aus der Schüssel, drapierte sie auf meinem Teller, nahm einen Bissen, kaute,
schluckte und fragte: „Bist du unglücklich, Liebling?”
„Warum
soll ich unglücklich sein?”
„Du
hast wieder einen Teller an die Wand geschmissen.”
„Ach
das.” Sie blickte gedankenverloren zur Wand. „Ich … ich weiß nicht warum. Es
war mir gar nicht so recht bewusst.”
„Also
bist du glücklich?”
„Ich
kann es nicht sagen.”
„Brauchst
du mehr Haushaltsgeld?”
„Papa,
was ist ein Junkie?”
„Tim,
ich spreche mit deiner Mutter.”
„Gut,
Papa.”
„Also,
bist du nun glücklich oder unglücklich?”
„Ich
… ich glaube, ich bin weder das eine noch das andere.”
Ich
nickte zufrieden. „Dann ist es doch okay.”
„Und
du?”
„Ich
tue, was ich tun muss.”
„Was
ist Heroin, Paps?”
„Das
musst du nicht wissen, Tim.”
„Gehen
wir morgen in die Kirche, Schatz?”
„Ich
kann nicht, Liebling. Ich habe viel zu erledigen. Geht doch einfach ohne mich.”
„Gut,
Schatz.”
„Liebling?”
„Ja?”
„Bitte
leg den Teller aus der Hand.”
Als
ich am Morgen in mein Büro trat, legte ich mein Jackett ab, trat ans Fenster
und fuhr die Jalousien hoch. Es dämmerte bereits, doch die Sonne verbarg sich
noch hinter einem flammenden Wolkenmassiv. Ich setzte mich an meinen
Schreibtisch, überflog die Studien der letzten Tage, konstatierte zufrieden,
nichts Besorgniserregendes melden zu müssen, und fragte mich, wo Lars Klein,
mein Assistent, blieb. Er war überaus zuverlässig und sittsam, der ideale
zweite Sohn.
Verwundert
über diesen Gedanken hielt ich kurz inne. Schon auf meinem Weg zum Institut
hatten mich Sorgen wegen Eva und Tim geplagt, die mir nicht mehr aus dem Kopf
wollten. Warum konnte ich mich nicht daran erinnern, ob Tim am Küchentisch sein
spitzbübisches Lächeln, das ich so schätzte, gezeigt hatte? Wie kam es, dass
mir nicht einfallen wollte, ob Eva ernst dreinschaute, als sie mir nicht zu
sagen vermochte, wie es ihr ging? Wie konnte ich nur so lustlos auf ihre Ausbrüche
reagieren? Zwar war es nicht das erste Mal – fast regelmäßig flogen die Teller
– doch … gerade deshalb entsetzte mich die offensichtliche Distanz zwischen
meiner Familie und mir; Alltagsfrust lag in der Luft, und je mehr ich daran
dachte, umso stärker wurde die Spannung, die sich in mir aufbaute wie ein Feld
in einer Spule.
Die
Tür sprang auf und Lars hastete in den Raum. Überrascht musterte ich ihn. Es
war sonst nicht seine Art, den Raum zu betreten, ohne anzuklopfen. Er schien
erschöpft und atmete schwer. In seiner Hand hielt er das Hamburger Morgenblatt.
Sein sonst bis auf ein paar Muttermale fahles Gesicht war rot.
„Guten
Morgen Lars”, sagte ich.
„Guten
Morgen, Doktor Grau. Entschuldigen Sie bitte die Verspätung.” Mit seiner zarten
Stimme und der zaghaften Körpersprache erinnerte er mich an die Chorknaben der
Sonntagsmesse. Ideal.
„Kein
Problem. Alles in Ordnung, Lars?”
„Doch,
schon.” Er stand unschlüssig in der Türe. Normalerweise gab ich ihm nach einem
kurzen Hallo gleich die Anweisungen für erste Erledigungen, doch ich sah ihm
an, dass ihm etwas auf der Seele brannte. Bevor ich ihn fragen konnte, was es
sei, platzte er schon damit heraus.
„Haben
Sie schon davon gehört, Doktor Grau?”
„Wovon,
Lars?”
„Die
Existenz des Jenseits wurde verifiziert!”
Es
dauerte einen Moment, bis ich den Satz verdaut
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