NOVA Science Fiction Magazin 20
sehen. Vermutlich bestätigte es
seine Meinung vom verrückten Wissenschaftler. Ich nickte ihm zu und betrat das
Institut.
Ich
ging zu meinem Büro, blickte mich dann um, stellte zufrieden fest, nicht
beobachtet zu werden und steuerte in den Kabinentrakt.
Nur
noch ein paar Schritte, dann wäre Lisa frei. Wir könnten das Institut
verlassen, ein für allemal, vielleicht auch das Land. Lisa und ich hatten noch
nicht geplant, wohin genau wir fliehen wollten, doch bis Fahndungsbeginn
standen uns alle Wege offen. Wir würden uns aus dem Hinterausgang – der nur von
innen und mit dem Generalschlüssel zu öffnen war – schleichen, uns zu meinem Wagen
pirschen, außer Reichweite möglicher Verfolger rasen und uns endlich in die
Arme fallen und über unsere neue Freiheit jubeln. Zumindest Lisa würde sich
freuen; und vielleicht würde sie mich irgendwann dazu bringen, Eva und Tim
loszulassen, falls ich es dann wollte. Doch Leben bedeutet eben manchmal auch,
Abschied zu nehmen.
Vorsichtig
öffnete ich die Stationstür, schob mich leise auf den Gang und ließ die Tür
sanft ins Schloss gleiten. Mir war nicht danach, der Nachtwache mein Erscheinen
zu erklären – je später Lisas Verschwinden bemerkt werden würde, desto
ungefährdeter konnten wir fliehen.
Ich
rief mir die Kabinennummer vor Augen, die ich am Vormittag Lisas Akte entnommen
hatte. Schließlich fand ich die Kabine. Optimismus packte mich, als ich den Schlüssel
ins Schloss fahren ließ. Lächelnd öffnete ich die Tür und betrat den Raum.
In
der Dunkelheit rastete etwas ein.
Derman
dirigierte mich aus dem Kabinenkomplex hinaus in den Hauptflur. Wohin zielte er
mit der Waffe? Auf meinen Hinterkopf? Mein Rückgrat? Meine Fluchtmöglichkeiten
strebten gegen Null.
„Wo
ist Lisa, Derman?”
„Sie
ist in guten Händen.” Seine sonst so devote Stimme klang ungewohnt dominant.
„Miller?”
Er
lachte. „Sehr richtig, Kollege.”
Durch
die Fenster fiel Mondlicht auf die Gänge; düster zeichnete sich Dermans
Schatten ab, der meinen eigenen bedrohlich überlagerte. Ich fühlte mich wie
tot.
„Wer
hat mich verraten?”
„Das
waren Sie selber, Kollege.”
Ich
hatte mit niemandem gesprochen. Nur mit Lisa. Natürlich, jetzt dämmerte es mir.
„In
diesem Institut haben die Wände Ohren”, sagte Derman.
In
diesem Fall wohl eher die Türen, dachte ich verbittert.
Derman
stieß mir den Lauf der Pistole in den Rücken. „Da lang. Sie sollten doch
wissen, wo Ihr Büro ist.”
„Warum
gehen wir in mein Büro?”
„Ich
will die Sauerei nicht in meinem Büro haben. Das verstehen Sie sicherlich.”
Trotz
der Waffe überraschten mich Dermans Worte. „Sie wollen mich umbringen?”
Derman
kicherte amüsiert. Vielleicht überspielte er auch nur seine Anspannung. Er
wirkte auf mich wie das Klischee des Verbrechers mit heftigen inneren
Konflikten.
„Kollege,
niemand will Sie umbringen.”
„Was
wollen Sie dann mit der Waffe?”
„Jetzt
stellen Sie sich nicht dumm. Eine Insassin illegal aus der Verwahrung befreien
zu wollen, ist ein grober Regelverstoß.”
„Sie
wollen mich lobotomisieren?”
„Mir
bleibt wohl nichts anderes übrig.”
„Sie
könnten auch einfach den Blödsinn sein lassen, Derman. Wer zwingt Sie dazu?”
Niemand anderer als Miller konnte derart Einfluss auf Derman ausüben. Doch
selbst wenn er es wusste, würde er es kaum zugeben.
„Niemand.
Man muss tun, was man tun muss.”
Wir
waren bei meinem Büro angelangt. Die Tür stand offen. Derman schob mich in den
finsteren Raum. In der Dunkelheit hörte ich jemanden atmen.
Die
Türen haben Ohren … ich brauchte kein Licht, um zu wissen, wer dort wartete.
„Sie
haben sich also keinen Urlaub genommen, Lars”. Ich klang verbittert. Derman
schloss die Tür und drückte den Lichtschalter. Der plötzliche Lichtschub
blendete mich. Ich sah nur verschwommene Schemen. Als sich mein Blick klärte,
sah ich Lars am Tisch stehen, die Hände in den Taschen. Er wirkte unsicher wie
immer. Vielleicht schämte er sich sogar.
„Es
tut mir Leid, Doktor Grau. Doch Sie müssen verstehen …” Lars stockte und
blickte Derman an, der mit der Waffe auf mich zielte und gleichzeitig den
Aktenkoffer auf meinen Schreibtisch stellte und aufklappte. Ich sah nur die
schwarze Rückseite. Der Koffer musste das Werkzeug enthalten, das die Operation
erforderte. Was es war, konnte ich, der nie eine Lobotomie erlebt hatte, nur
ahnen.
„Nun,
wir haben keine Liege. Aber ein Stuhl tut es auch, nicht
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