NOVA Science Fiction Magazin 20
kehrst du ein in alte Augenblicke; nun schaffe, was geschafft werden
muss.“
Lindamonium
5,6 –24
Die
Labortür ist verschlossen. Miller weiß seit knapp fünf Minuten, dass ich komme.
Die Zeichen stehen gegen mich. Doch ich bin ausgerüstet mit einem Transorbit,
einer geladenen Waffe – als letztes Argument – und einer überwältigenden Wut.
Ich werfe mich gegen die Tür, wirble mit einer Myriade wirbelnder Türtrümmer in
den Raum und stürze mich auf Miller.
Alles,
was ich in Millers Augen sehen will, ist eine Andeutung von Reue. Ich lasse den
Transorbit in seiner Niere rotieren, kurbele mich in seine Eingeweide.
In
ihm existiert keine Schuld, nur Rechtschaffenheit.
Leblos
sackt er zu Boden, und der Transorbit fällt mir aus der Hand. Ich stolpere zu
Lisa, will nur wissen, ob sie noch zwei und zwei zusammenzählen kann, hören,
wie sie mir sagt, was sie empfindet, dass sie empfindet; doch die Schwellung in
ihrem Gesicht nimmt mir die Hoffnung.
„Lisa“,
flüstere ich.
Wir
sind alleine hier im Labor, leblos umringt von Operationstisch und
Reagenzgläsern, Skalpellen und Plastikhandschuhen. Auf den Fliesen formt Miller
ein weißbekitteltes X, von dem ein rotes Rinnsal abfließt. Mühsam halte ich
mich davon ab, zuzutreten, seinen Schädel zu zertrümmern; Lisa braucht jetzt
meine Rücksicht. Ist sie überhaupt bei mir?
„Lisa.“
Ich strecke die Hand nach ihr aus und fahre über das millimeterkurz geschorene
Haar. Mechanisch und quälend langsam dreht sie ihren Kopf zu mir, die Bewegung
eines rostigen Roboters. Tränen verschleiern ihre Augen, perlen über das vage
Veilchen; doch als ich sie mit zitternden Fingern fortwischen will, merke ich,
dass ich es bin, der weint.
Komm,
Lisa. Wir müssen aussteigen.
Ich
halte ihr die Tür auf und lächle sie an. Schon seit wir aus dem Labor, durch
den Komplex der Gänge und endlich aus dem Notausgang geflüchtet sind, spielen
wir dieses Spiel: Sie bleibt stumm, stiert leer in die Ferne, und ich lächle
sie an und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie weh es tut, dass sie es
nicht erwidern kann.
Als
wir über einen Seitenpfad zu meinem Wagen hetzen, halte ich ihre Hand, drücke
sie ab und an sanft, um sie aus ihrer Lethargie zu wecken, damit sie nicht
gegen eine Wand stolpert oder über einen Stein stürzt. Wir setzen uns in den
Wagen, und als ich sie bitte, sich anzuschnallen, benötigt sie mehrere Minuten
dazu, den Gurt über ihre Schulter an der Brust vorbei und in die Halterung zu
führen. Ich sage nichts und lächle sie an. Seit ich sie aus dem Labor geführt
habe, ist kein einziges Wort über ihre Lippen gekommen. Ich will ihr die Zeit
geben, zu sich zu kommen, schalte das Radio ein und konzentriere mich auf die
Straße.
Erst
im Stadtzentrum von Bremen bemerke ich meine Dummheit. Die Leiche von Miller
war vielleicht bereits gefunden worden, die Fahndung nach mir und Lisa in die
Wege geleitet. Sie würden meinen Wagen suchen. Ich steuere den Hauptbahnhof an.
Vor
uns erhebt sich das mächtige Gebäude, Reisende betreten und verlassen das Gebäude,
manche eilen, andere scheinen alle Zeit der Welt zu haben. Ich starre auf
meinen Koffer, dann zu Lisa.
„Lisa,
bitte, du musst …“
Sie
zerrt an ihrem Gurt, vergisst aber, die Halterung zu lösen, senkt den Kopf und
stöhnt. Fast jubele ich über dieses erste Lebenszeichen, doch Lisa regt sich
nicht weiter. Also beuge ich mich vor und löse den Gurt, strecke die Hand aus
und helfe ihr aus dem Wagen.
In
der Bahnhofshalle versuche ich Blicken auszuweichen. Als zwei uniformierte
Wachbeamte sich nähern, greife ich Lisas Hand und ziehe sie die Treppe hinauf
zu einem Gleis. Umringt von Koffern und Kaffeetrinkern werfe ich einen Blick
auf die Anzeigetafel: Der nächste Zug fährt nach Hamburg.
Hamburg.
Lisa
steht neben mir, und wären nicht die Löcher an ihrer Schläfe, fehlte ihr nicht
jede Lebhaftigkeit, dann wäre alles bestens. Vielleicht gingen wir sogar als
Paar auf Partytour durch, oder als Rückkehrer aus den Flitterwochen. Die
Menschen um uns herum glauben das vielleicht tatsächlich. Doch die Lisa neben
mir ist amputiert.
Ich
hole meine Brieftasche aus der Jacke und ziehe am Automaten zwei Fahrkarten.
Als ich mich Lisa zuwende, sieht sie mich müde an.
„Wohin
fahren wir?“ Die Worte kommen endlos stockend und überbetont aus ihrem Mund.
Sie bemerkt, wie schwer es ihr fällt, auch nur wenige Worte zu sprechen und
senkt den Blick. Kann sie noch weinen? Ich lege ihr den
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