NOVA Science Fiction Magazin 20
Arm um die Schulter,
drehe sie dann zu mir, fasse ihr unter das Kinn und lenke ihren Blick sanft in
meine Augen.
„Lisa,
wir fahren nach Hamburg.“
„Warum?“
Ich
kann ihr einfach nicht sagen, dass es das ist, was sie sich so sehnlich
gewünscht hat. „Lisa, ich will mit dir zu den Sternen“, sage ich sentimental.
Sie
sagt nichts.
„Kommst
du mit mir?“
Sie
zögert, blickt mich ausdruckslos an und sagt: „Ich glaube, ich weiß es nicht.“
Wieder
spielen wir unser Spiel, wieder erwidert sie mein Lächeln nicht.
„Vielleicht
fällt es dir ja auf der Fahrt ein“, sage ich. Der Zug rollt donnernd am Gleis
ein. Als er steht, öffne ich die Tür und ziehe Lisa wie ein Kleinkind hinter
mir her. Im hinteren Wagon finden wir ein leeres Abteil.
Während
die Nacht an uns vorbeizieht, blicke ich in das Fenster und betrachte das
Spiegelbild von Lisa. Ich kann mich nicht in sie hineindenken, auch wenn ich
wissenschaftstheoretisch weiß, was die Lobotomie mit ihr gemacht hat. Wie soll
ich verstehen, wie es ist, wenn der Teil fehlt, der den Menschen fühlen lässt?
Es ist wohl absurd, mir anzumaßen, ihren Zustand nachempfinden zu wollen, und
genauso unmöglich.
Lisa
legt ihren Kopf an meine Schulter. Freudig will ich etwas zu ihr sagen, doch
schon schreckt sie hoch und blickt mich verlegen an.
„Entschuldige
bitte.“
„Wofür
entschuldigst du dich, Lisa?“
„Ich
wollte nicht … ich weiß nicht …“
Nachdem
wir dem Kontrolleur unsere Fahrscheine gezeigt haben, ist die restliche Strecke
bis Hamburg nur noch Schweigen und Spielen. Wir steigen aus und steuern die
U-Bahn an. Lisa trottet mir mehr nach, als dass sie sich an meiner Seite
bewegt. In der U3 sitzt kaum ein Mensch. Als wir aus einem Tunnel hinaus und über
Land fahren, dämmert es bereits.
„Hier
steigen wir aus, Lisa.“
„Wo
sind wir?“
„Landungsbrücken.“
Wir gehen die Treppe hinab und über die Brücke an den Hafen. Erst jetzt, als
sich vor uns das alte Hafengelände erhebt, in dessen Zentrum das gewaltige Kosmodrom
himmelwärts jagt, versteht sie, was wir im Begriff sind zu tun.
„Lisa,
du muss nicht mit mir kommen.“
„Nein?“
„Natürlich
nicht. Du hast kein Verbrechen begangen. Mehr als das …“ Ich halte inne und
suche die richtigen Worte. „Du hast deine Schuld abgebüßt und kannst dein Leben
hier leben. Das Schlimmste ist vorbei“, sage ich. Wir sehen uns an, während uns
die unausgesprochene Frage umkreist, ob das, was ich gerade gesagt habe, wahr
ist. Ich kann es kaum beurteilen. Wie ist es, ein Leben zu leben, dem Emotionen
amputiert sind, ein Leben, dessen Verstand von fremden Händen geeicht wurde?
„Willst
du mit mir kommen, Lisa?“
„Ich
weiß es nicht, Kevin.“
„Okay.
Du hast noch Zeit, es dir zu überlegen.“
„Wo
willst du denn hin?“
Ich
denke an Berichte über die Anarchistische Gesellschaft, die eine Gruppe von
Nerds auf dem Mars etabliert hat. Wo sonst habe ich eine Option auf
Straferlass? „Zum Mars“, sage ich. Ich will dahin, wo du selbst auch immer
hin wolltest.
Von
der alten Pier führt eine Rolltreppe hinab zu den Drehtüren, durch die wir das
Foyer des Kosmodroms betreten. Es ist noch früh und relativ leer, nur
vereinzelt sitzen oder liegen Reisende im Wartebereich. Bislang bin ich nur ein
einziges Mal mit einem Linienschiff ins Weltall gereist, doch das war kaum mehr
als eine Kaffeefahrt. Ich schaue mich um. Der auffälligste Unterschied zu einem
Flughafen sind die Dimensionen des Gebäudes sowie das Raumschiff, das die
Passagiere am Ende des Gates erwartet, statt einer Boeing oder einem Airbus.
Wir
stehen hinter zwei Paaren mit Kindern in der Schlange. Lisa sieht skeptisch auf
meinen Koffer.
„Ich
kann wohl nicht mitkommen. Ich habe gar nichts dabei, keine Kleidung, gar
nichts.“
„Auf
dem Mars gibt es tolle Geschäfte“, sage ich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie
der Schalterbeamte uns mustert und hinter vorgehaltener Hand in ein Telefon
spricht.
Es
ist soweit.
Ich
ziehe die Waffe und richte sie auf den Beamten. Er nimmt sofort den Hörer vom
Ohr.
Panisch
ziehen die Eltern ihre Kinder zur Seite. Ich gehe vor zum Schalter.
„Wir
fliegen zum Mars“, sage ich mit vorgehaltener Waffe.
Der
Beamte ist sichtlich nervös. Verwirrt zieht er sein Pflichtprogramm durch.
„Hin- und Rückflug?“
„Einfache
Strecke.“
„Der
nächste Flug geht leider erst in fünf Stunden.“
Fünf
Stunden. Der Beamte hat uns erkannt, demnach ist Miller gefunden worden,
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