November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
trotzig daran festhielten, daß sie ein Mandat von sechzehntausend Matrosen in Wilhelmshaven auszuüben hätten. Sie merkten aber mehr und mehr, daß sie nicht im wilden Wilhelmshaven, sondern im schönen alten Straßburg ihrer Väter waren. Es lag nicht nur an Peirotes. Sie fluchten auf Matrosenart, dann mezzo, piano, pianissimo.
Und das kam daher, daß in Straßburg nicht nur das Münster stand, und es die stillen freundlichen Kanäle und die Ill mit den Wäscherinnen gab, die vielen Brasserien, und den noch immer vorhandenen, so entbehrten Wein. Sie gingen zu ihren Bekannten, in ihre Familien, und vernahmen da allerhand über die Härte und Anmaßlichkeit der Deutschen während der Kriegszeit, wie man die Elsässer schief angesehen hätte, jeder in Gefahr, als Spion genommen zu werden (und wer wüßte das besser als sie, die man nicht ins Heer zu stecken wagte, sondern auf die Schiffe beförderte), und wie sie froh wären, daß die Franzosen kämen, um sie zu befreien. Ach, es stimmte so! Dieses Elsaß, ihre liebe Heimat, erwies sich als eine harte Nuß für die Revolutionäre. Sie konnten ihre Ware nicht anbringen. Schon am Tag nach der stürmenden Ankunft setzte man Eisenring, dem jüngeren Matrosenführer, so zu, daß er öffentlich und schärfstens namens des Marinerates gegen den Vorwurf einer Bestechung durch Altdeutsche protestieren mußte. »Wir sind Elsässer und überzeugte internationale Sozialisten.« Es läßt sich nicht verheimlichen, daß die Einheimischen sagten: »Auch das essen wir nicht.«
Und so saßen und lungerten sie in dem großen düstern Landgerichtsgebäude herum, gingen Patrouille auf der Straße, gemeinsam mit andern, als Bürgerwehr, ja, die Helden von Wilhelmshaven als Bürgerwehr. Und wo sie Leute faßten, die in den letzten Tagen zu heftig geplündert hatten und etwa mehr als drei Paar Stiefel und ganze Tuchballen besaßen, da nahmen sie ihnen das Übermaß weg. Unsicher trieben sie sich in dem großen Schwurgerichtssaal herum, bei den Sitzungen unter dem trockenen Sergeanten Rebholz, der ein Altdeutscher war und das Ganze wie eine Vereinsangelegenheit aufzog. Und was man verhandelte, lag weit ab von dem, was sie wollten. Es war weder Meer noch Flotte noch Revolution, und sie hatten doch hohe Offiziere und feige Bürger im Zaum gehalten und waren mit der roten Fahne marschiert. Und die hier erörterten, was man mit den fünfhundert Kisten Gasmasken machen sollte, die in den Magazinen lagerten, wie hoch war der Herstellungspreis, wie teuer wollte man sie verkaufen, es könnte noch ein schöner Betrag dafür einkommen. O weh, o weh.
Und einmal gar schlug die Debatte große Wellen, als die Frage aufgeworfen wurde – wie man den Franzosen die Macht übergeben sollte. Das war nun schon zum Zähneknirschen. Aber das Datum des 20.November lag wirklich unweigerlich fest. Und dieser Rebholz, der Narr, blieb dabei, die Franzosen würden das Elsaß nur militärisch besetzen, die Zivilbehörden blieben. Und man meinte zur Vorbereitung des Leichenbegängnisses: erst sollte der Nationalrat Elsaß-Lothringen en bloc übergeben, dann sollte der Bürgermeister mit der Stadt Straßburg ankommen, und zuletzt sollte der Zentral-Arbeiter- und Soldatenrat antreten, eine Verbeugung machen und sagen: da habt ihr die militärische Gewalt. Daß sich Gott erbarm’. Es schlichen Elsässer aus dem Saal und tuschelten im Korridor: Hast du das gehört? Der deutsche Sergeant Rebholz wird dem General Gouraud die militärische Macht übergeben. Wenn der ihn nur nicht bei den Ohren nimmt und ins Loch steckt.
Die Gewehre hinter sich an die Wand gestellt, Zigaretten im Mund standen der Matrose Jörg und der Matrose Baptist, beide Straßburger, frisch zur Marine gekommen, vor dem kleinen Saal des Marinerats und hielten Wache. Was sie zu bewachen hatten, wußten sie nicht. Der Saal war leer. Da beobachteten sie, was im Korridor vorging und das Treiben hinten vor dem großen Beratungsraum.
Jörg, der jüngere, vertraute seinem Freund an: »Im Grunde sind die Leute in Straßburg ganz vernünftig. Ich habe in Schiltigheim mit meinem Oheim gesprochen, und sein Nachbar kam hinzu. Die gucken mich groß an, weil ich ein Matrose bin, und fragen, was wir für ein Theater aufführen. Wir sollten uns schämen, schimpfen die, denn warum hat man uns in die Marine gesteckt? Weil wir Elsässer sind und die Preußen uns nicht trauen. Und was die sonst gemacht haben. Die sagen: Die Schwobe sind wir los und damit gut. Der Pfarrer
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