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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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rote Zotten senkten sich im Darm wie Wurzeln in den Saft, der über sie floß, und sogen an ihm.
    Weder Hilde, noch aus Straßburg war sie, sondern eine Pflanze, und hatte nichts zu fürchten, sondern nur zu wachsen, Frucht zu tragen und zu welken. Von wem sie den Auftrag dazu hatte? Sie hatte ihn und beruhigte sich dabei.
    Da fielen ihr ihre Haare ein. Sie tastete nach ihrem Kopf: ob sie feucht wären. Schweiß rieselte die Wangen herunter. Sie erhob sich langsam, stand und ließ das Wasser von sich abträufeln. Der Kopf hing ihr vor der Brust. Sie dachte, als sie an ihren Brüsten herunterschielte: hier stehe ich, eine satte Kuh, und weiß nicht, was ich will.
    Sie fror, stieg aus und saß im Bademantel, über den Kopf eingehüllt, auf dem Stuhl. »Schön ist die Welt«, sagten ihre Lippen, als sie den Mantel öffnete und wieder die Wärme des Dampfes einatmete. Dabei erschrak sie, ihr fielen die Lazarette, die Leichenkammer, eitrige Verbände ein. Aber das huschte vorüber, sie sagte sich laut vor: »Schön ist die Welt«, und rieb ihre Füße trocken. Sie suchte die Pantoffeln unter dem Stuhl, saß im geheizten Wohnzimmer auf dem Sofa.
    Lauter scholl das Rattern von Wagen herauf. Sie hatte sich ein Plaid übergelegt und hinter ihren Kopf ein Sofakissen gepackt. Undeutlich nahm sie diese Geräusche wahr, das Marschieren im Tritt. Die Geräusche kamen zu ihr, sie hielt einen kleinen Augenspalt geöffnet, verfolgte die Geräusche. Ach, bin ich eine Sünderin. Seufzte träge. Wanderte in ihr kleines Zimmer herüber.
    Als sie um elf auf der Straße war, hatte sie einen derben dunkelgrünen Mantel angelegt und trug eine kleine Pelzmütze. Sie bog gleich dicht neben ihrem Haus in ein Seitengäßchen ein, um dem Anblick der Soldaten zu entgehen. Wieder wie am ersten Tag nach ihrer Rückkehr kam sie an der Hinterseite zum Dom. Vor einem Seitenportal drängten sich Menschen. Sie ging herüber. Da hatte man einer Statue die Hände gefesselt und ihr ein Schild angehängt: sic transit gloria mundi. Die gefesselte Statue zeigte das Gesicht des deutschen Kaisers. Ein Lachen, Schimpfen und Klatschen in der Gruppe. Was gehe ich hierher? Sie lenkte auf die andere Seite. Im Nebel schob sich der Turm des Münsters hoch, sie war auf dem Platz, trat ein.
    Links oben die Orgel mit ihrem farbigen Holzwerk, die Pfeifen silbern; der graue Raum durchschüttelt von der Gewalt der Klänge. Die Kirche ganz leer. Überall um die Pfeiler herum standen unordentlich Stühle. Vor dem Hauptaltar hinten bewegte sich etwas, von da kamen Stimmen. Sie irrte unschlüssig durch den Raum. Da war eine Hochzeit, die in eine Seitenkapelle zog. Als Hilde in die Nähe kam, kniete die Hochzeitsgesellschaft in zwei Reihen. Hoch und golden das Tabernakel, eine Doppelreihe von Kerzen brannte davor. Das Tabernakel mit seinen Platten verjüngte sich nach oben in einen goldenen Turm und war ein Abbild des Münsters.
    Hilde blickte durch das Gitter; sie sah das Brautpaar von hinten. Der Priester trug ein weißes Hemd und gelbe Bänder und Schärpen. Er hielt ein schwarzes Buch in beiden Händen, ein blasser Glatzkopf mit goldener Brille, er las, das Buch dicht an der Nase; an mehreren Stellen wandte er sich zu dem Brautpaar. Die Tafel unter dem Tabernakel war weiß gedeckt, Bücher und Bilder darauf. Rechts und links knieten, freundlich anzusehen, Chorknaben auf dem roten Teppich und blickten sich manchmal ungeduldig an. Aber der Priester las und las, von der christlichen Liebe.
    Der Boden war Stein, es wehte kalt durch den Raum, Hilde konnte sich von der Kapelle nicht lösen. Sie war mit dem Brautpaar in einer fröhlich feierlichen Gesellschaft. Sie blickte zur Seite. Der Hochaltar war ganz dunkel, hinten fiel Licht durch ein breites Fenster herein, es traten langsam hohe weiße Kerzen und Kandelaber hervor, und ein roter Teppich führte die Stufen herauf. Rötlicher Sandstein bildete alle Säulen und Pfeiler. Ein großer Mann mit einem mächtigen Stab und gelber Schärpe blickte sich um, sie erkannte ihn. Plötzlich brüllte die Orgel auf. Der Priester hatte seinen Spruch beendet und wandte sich von dem Brautpaar ab, dem Altar zu. Oft bekreuzigte er sich, kniete hin, die Orgel brüllte wieder, die beiden Reihen der Gäste knieten und betrachteten das goldene Kreuz auf dem Rücken des Priesters und seine weiße Glatze. Jetzt suchte der Priester in einem großen Buch, er las und las, stumm; was er dachte und las, machte er mit dem Ewigen ab, zu dessen Ehre das

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