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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Millionen für sich behalten könnte. Nationalwirtschaftlich war an dem großen Werk die Papierindustrie, die Kartonindustrie, Druckereien, Photographie, chemische Industrie beteiligt, und dies alles in Verbindung mit der Steigerung der nationalen Energien würde Deutschland einen großen Aufschwung verschaffen. Das war Napoleon. Brose hielt ihn aber. Man kann Männer mit solcher Physiognomie immer für irgendwelche noch nicht sichtbaren Geschäfte brauchen. Unterdessen freundeten sie sich auch an.
    Während sie im offenen Wagen fuhren und Motz deprimiert an seinem Hut zog, dachte er an den Gang zur Apotheke heut nachmittag wegen einer neuen Harnanalyse.
    Die Leute sehen alle sehr gut aus, raunte gleich beim Aussteigen auf dem Tempelhofer Feld Brose seinem Freund zu. Sie drängten rasch nach vorn.
    Man hatte ein großes Holzpodium errichtet, der Unterbau schwarz, darauf die Särge der acht Opfer. Fünfzehn waren in den ersten Tagen in Berlin gefallen, nur diese acht, die da unter Kränzen ruhten, wurden nun öffentlich und auf Staatskosten beerdigt. Da lag ein Monteur aus der Landsberger Straße, ein Gastwirt, ein Werkzeugmacher, in der Chausseestraße erschossen. Ein Sattler und ein Arbeiter blieben bei einem Gefecht am Alexanderplatz liegen. Einen Gasarbeiter und einen Schüler von dreizehn Jahren hatte die Kugel am Stettiner Bahnhof in der Eichendorffstraße getroffen. Und dann noch eine junge Arbeiterin. Vorn sprach schon einer, man konnte ihn weder verstehen noch sehen, noch immer schoben sich Kranzdeputationen nach vorne durch. Motz flüsterte: Über tausend Kränze, eine großartige Beerdigung. Eine Abordnung der Marinelandflieger; ein paar Männer in Zivil trugen einen riesigen Kranz, gestiftet von der türkischen Kolonie in Berlin, darauf las man: »An die Helden der Freiheit.« Motz schreckte plötzlich zusammen: »Was machen eigentlich die vielen Leute hier?« Brose staunte: »Die sehen ebenso zu wie du und ich. Was machst du denn?« »Na ja«, erinnerte sich der zerfahrene und völlig zuckerkranke Motz, »aber der Mann oben sollte doch etwas deutlicher sprechen.« Brose: »Familienangehörige werden auch da sein, vorn bei der Regierung.« Motz versank schon wieder in Selbstbetrachtung.
    Ein neuer Redner kam, man flüsterte: »Haase, der Unabhängige.« Er rief: »Noch nie ist eine politische Umwälzung mit so wenig Todesopfern vollzogen worden. Die Revolution ist noch nicht beendet. Sie ist am Anfang und muß gesichert werden.« Brose stieß seinen Freund an: »Paß auf! Das ist so einer. Der meint Sozialismus.« Neben dem Podium hielten schwarz bezogene Rollwagen, vierspännig. Auf sie wurden von Soldaten die acht Särge gehoben, die Kränze darüber gelegt, sehr sorgfältig arbeiteten die Soldaten. Die Musik fing an zu spielen: »Jesus, meine Zuversicht«, die Menschenmasse öffnete sich, und der Zug ordnete sich. An der Spitze schritt eine Ehrenkompanie des Alexanderregiments, es folgte eine Kranzdeputation, dann Mitglieder der Volksregierung. Auf die hatten es Brose-Zenk und Motz abgesehen, denn neben ihnen wußten Arbeiter die Namen, sie nannten Molkenbuhr, Müller, Haase. Brose schob sich gradezu grob vor, um zum Anblick von Mitgliedern der neuen Volksregierung zu gelangen, er dachte erregt: »Meine Waggons, meine Waggons.« Er sah besser als Motz, dem er, wie die Erscheinungen vorüber waren, sein freundliches, ja glänzendes Gesicht zuwandte. Brose strich sich mit der linken Hand den Bart. »Das waren sie also. Einverstanden.«
    Am Ausgang der Belle-Alliance-Straße, vor dem Warenhause hatte sich der Leutnant Maus aufgepflanzt. Er war wütend und wollte sich noch mehr ärgern. Wozu war er eigentlich so rasch nach Berlin gefahren. Er steckte zwischen kleinen Ehepaaren, die sich laut unterhielten, von irgendeinem Max, der auch bei einer Kranzdeputation sei, Gustav gehe mit seinem Betrieb, Karl könne heute nicht feiern. Und als die Musik sich näherte und die Alexander vorbeimarschiert waren – »sind unsre«, frohlockte man –, zeigte man sich Einzelpersonen im Zug. Maus staunte und wußte nicht, wie ihm wurde, als er hörte: »Der neben Molkenbuhr, das ist Genosse Haase.« Das sagte eine schwarzgekleidete dicke Frau ihrem Mann, der immer so weg seine Pfeife rauchte und zufrieden nickte. Hinter der Regierung mit roten, schwarzumflorten Fahnen marschierten die Betriebe. Die Schilder und Bänder trugen gewaltige Inschriften: »Den Toten der Revolution«, »Brüder, wir danken euch«. Als die dicke

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