Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
gewarnt.« »Brose, ich kenn’ mich aus.« »Bist du nicht schon oft genug mit Gefärbten reingefallen?« »Auch mit Ungefärbten, Brose.« »Gefärbte sind Spione«, und er erzählte, was ihm heute morgen passiert war: »Die Polizei drang bei mir ein. Weiß ich, was dahintersteckt. Du wirst sie heute nicht – sehen. Verstehst du? Hat sie Telefon?« »Sie erwartet mich zum Essen.« Brose war gebieterisch: »Ich rufe sie an.« Motz seufzte. Er war in einem schrecklichen Abhängigkeitsverhältnis.
    Was nur wenigen möglich wurde, gelang Brose, er kam auf den übervollen Friedhof kraft seines unverschämten Auftretens und eines kaltschnauzig präsentierten Ausweises. Barth hatte vor den offenen Gräbern gesprochen, auch Luise Zietz. Sie hatten beide den Toten Treue geschworen.
    Darauf bliesen schwermütig, als wenn sie nicht recht daran glaubten, mehrere Hörner, und Karl Liebknecht, der neue Volkstribun, zeigte sich in dem Wald roter Fahnen.
    Motz stand schlafmützig und verärgert da, auch verängstigt, weil es doch ein Friedhof war, wenn auch, wie er sich tröstete, einer für sehr alte Tote. Brose-Zenk klammerte, ja krallte sich in seinen Arm, als Liebknecht zu reden anfing. Sie standen, durch ein Menschenmeer von den Gräbern getrennt, so, daß sie den Rednern ins Gesicht blicken konnten. Und wie dieser Liebknecht zu reden anfing, war es sofort anders als bei den früheren. Die Fahnenträger hoben ihre Fahnen stolz und zustimmend, sie grüßten ihren Führer; das murrende Geräusch der Menschenmassen draußen ließ nach, man hörte rufen: »Ruhe! Liebknecht.« Der Ruf »Ruhe« pflanzte sich weit fort; sie wußten bis zum Schloßplatz, jetzt fing Liebknecht an, jetzt wurde ohne Lautsprecher über große Straßenreihen, über halb Berlin gesprochen.
    Der Volkstribun war schlank, er hatte ein bleiches unruhiges Gesicht; seine Augen, übernächtig, drehten sich, ohne zu fixieren, nach rechts und links; der dunkle Schnurrbart hing ungepflegt über den Mund. Gelegentlich biß der noch jugendliche Mann hart die Zähne aufeinander in einer Art Dauerwut und Empörung, die ihn hinderte, Gedanken zu fassen. Er schien der einzige auf dem Friedhof zu sein, der nicht fühlte, wie die riesigen Menschenmassen an seinem Mund hingen. Er sprach laut, heftig, in unregelmäßigen Stößen, dabei war er heiser und überschlug sich gelegentlich.
    Gellend wie ein Rache- und Siegeslied tönte sein Anfang:
    »Die Hohenzollern hatten gehofft, siegreich am Kriegsende durch das Brandenburger Tor zu ziehen. Statt dessen ist das Proletariat eingezogen. Die Hohenzollern sind flüchtig, alle Throne in Deutschland umgeworfen. Es läßt sich keiner von den Herren oder ihrem feigen Anhang blicken. In die Mauselöcher haben sie sich verkrochen. Sie wagen es nicht, die Herren Generäle, die Krautjunker, offen vor uns zu treten und sich zu verantworten, mit Grund, die Ausbeuter, die Blutsauger, die Drohnen des armen arbeitsamen Volkes, von dem sie gelebt haben und das sie jetzt abgeschüttelt und zertreten hat. Die Zeit des Massenmordes ist vorbei, den Verbrechern auf dem Thron ist endlich das Handwerk gelegt worden; mit Schimpf und Schande bedeckt, von aller Welt verflucht und gehaßt, verwünscht sind sie entwischt, erbärmlich, mit blauen Brillen, die unentwegten Blutsäufer. Noch ins Ausland wird sie der Haß, der Fluch des ausgehungerten, ausgemordeten, geknebelten Volkes verfolgen.«
    Der Volkstribun trug einen schwarzen Gehrock, der zerknautscht und lose um ihn hing. Sein nervöser Kopf, dessen dunkle Haare ihm über Stirn und Ohren geweht wurden, wandte sich während der letzten Sätze nach oben, zum grauen Himmel; ihn hatte er angeschrien. Jetzt knirschte und biß der Mann die Zähne zusammen und überließ sich seinem Groll. Ein einsamer unbändiger Haß war explodiert, von diesem Haß ein Quentchen. Warum hörten sie ihm so ungeheuer gespannt zu? Weil das kein Redner war, weil er sich, obwohl er sprach, gar nicht an sie wandte, weil er nur seinem Leiden vor ihnen Ausdruck gab, aber das war echtes Gefühl, ein Sturzbach von Leiden, und während der Sturzbach abwärts klirrte, riß er sie mit, und wer trug nicht nach solchem Krieg Bitterkeit, Zorn und Haß in sich. Ah, die Zeit der Ohnmacht war vorbei. Man würde wieder zur Menschenhöhe erhoben werden.
    Jetzt schlug Liebknecht die Arme übereinander und blickte in das offene Grab vor sich.
    Schwarze Löcher. Er hatte es nicht mehr mit den Fürsten und Massenmördern. Jetzt würden die Toten,

Weitere Kostenlose Bücher