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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Telefonleitungen spannten sich zwischen Menschen entfernter Stadtteile, sie konnten sich von ihren Zimmern aus unterhalten. Was eine Großstadt ist, hatten sie allmählich hervorgebracht, mit schwerer Arbeit, mit zähem Bemühen, es war durch ihren rastlosen Fleiß unter ihren Fingern so entstanden. Denn sie arbeiteten, arbeiteten unermeßlich, kannten nur Arbeit, wollten nur Arbeit, dürsteten und hungerten nur nach Arbeit. Wenn sich ihr natürlicher Hunger und Durst meldete, so empfanden sie sie als Störung, beseitigten sie und gaben sich wieder ihrem Arbeitsdrang hin. Sie lungerten trist herum, wenn sie keine Arbeit fanden. Sie sannen auf Geldverdienst. Viele verlangten nach Ehre, nach Üppigkeit, und das waren alles Triebfedern zum Arbeiten. Sie wühlten sich, um sich aufzupeitschen und weil sie nicht wußten, was mit ihnen war, in Zeitungsgeschrei ein, das gab ihnen Ärger, Haß, Groll, manchmal Spaß, Schadenfreude. Sie betraten Kinos und ließen sich Liebe, Schönheit und Abenteuer vormachen. Auf der Straße begegnete ihnen die Prostitution. Man setzte sich in einen Zirkus, wo sich Boxer niederschlugen.
    Sie standen zu Tausenden Spalier auf den Trottoirs und rissen die Augen auf. Die majestätische Riesenbestie der Öffentlichkeit, der maulaufsperrende Lindwurm schob sich, von Musik geführt, an ihnen vorbei. Man hatte die heulenden fahnenschwenkenden Giganten des Kriegs erlebt; zweifelnd betrachtete man das neue Untier – die Revolution, die dem Krieg so ähnlich sah.

    Es starrten darauf die Versprengten, Deserteure, Kriegsdienstverweigerer. Sie hatten sich wieder ans Licht gewagt.
    Hans Bruch, der Westfale, in der grünlichen verschlissenen Soldatentracht, stand am Halleschen Tor nicht weit von dem verzweifelten Leutnant Maus. Er hatte sich mit zwei anderen erst in und bei Lüttich, dann in Krefeld herumgetrieben, wo sie Bekannte fanden. Dann, als die Revolution ausbrach, flatterten sie wie Motten ans Licht. Es ging nach Berlin. Sie hatten die ersten Wochen zu tun, um zu Essen und Trinken zu kommen. Große Anschläge forderten alles, was in Berlin nichts zu suchen hatte, auf, die Stadt zu verlassen und aufs Land zu gehen, die Stadt könne sie nicht ernähren, auf dem Land gäbe es Arbeit und Verdienst. Sie kannten alle drei diese Arbeit und den Verdienst, sie hatten keinen Appetit danach, das war das letzte, was sie suchten, bei einem kleinen Bauern Dung zu fahren und Kartoffeln zu buddeln. Die Revolution hatte es ihnen angetan, zu Liebknecht waren sie schon öfter in Kasernen gelaufen – ob sich vielleicht bei dem was Vernünftiges entwikkelte. Aber bald! Denn lange konnte man nicht mehr warten, dann verreckte man auf dem verfluchten Berliner Pflaster oder schlüge jemanden tot. Und das war schon das Wahrscheinlichste. Welches auch Hans Bruchs Ansicht war, nachdem er eine Stunde lang mit den beiden andern am Halleschen Tor gestanden und gefroren hatte: »Hier zu stehn hat gar keinen Sinn. Die marschieren noch fünf Stunden. Was die sich dabei denken.« Der zweite grimmig: »Kommt nichts bei raus.« Bruch: »Ich muß mir die Beine vertreten. Wir müssen sehen, daß wir was Warmes in den Bauch kriegen. Aber betteln nicht.« »Dann weiß ich nicht, wie«, sagte der zweite. »Ich auch nicht«, der dritte, »ich bleib’ lieber hier, vielleicht findet sich was.« Hans: »Findet sich nichts, wenn du nicht grade die Hand in die falsche Tasche steckst – aber hier wirst du nichts erben.«
    Und sie pilgerten zu Fuß durch die Stadt nach der Weberstraße, wo sie ein kleines Lokal kannten. Da berieten in einem Hinterzimmer eine Handvoll angeblicher Spartakusleute, die meisten in Soldatenmänteln, an den Biertischen und hielten sich gegenseitig politische Ansprachen. Zwei Intellektuelle waren auch da, die rieten zur Vorsicht, sie tuschelten unter sich, einer war Russe, der war die Hoffnung aller, denn nur aus Rußland würde das Heil kommen, mit Rußland wird es gehen, ohne Rußland sind wir verloren. Und sie tuschelten von Nachrichten, Versprechungen, von aufgefangenen Briefen der Reichsregierung, vom drohenden Rechtsputsch. Zu Hans Bruch sagte der zweite abseits: »Wozu nimmst du uns hierher mit? Bis die soweit sind, können wir verhungern.« Das meinte der dritte auch. Hans fragte: »Wißt ihr was Besseres?« Da zogen die beiden den Älteren heraus und ließen sich auf der Weberstraße an der Kirche ungeheuer über die Quatschköpfe drin aus. Wozu Hans sagte: »Wenn wir draußen mit einem Angriff so lange

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