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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Wekken veranstaltet, und das war am Donnerstag in aller Früh ein schreckliches Trommeln und Blasen auf allen Straßen. Fast den ganzen Tag war ich auf den Beinen, um die Schande unserer ehemaligen Landsleute mit anzusehen. Und wenn mein Herz vor Kummer über den Verlust unserer Försterei brechen will, so kann es wirklich mit Grund und Fug brechen. Was ich erlebt und gesehen habe, treue Friederike, werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Ich habe mich mit Konrad Witz, dem Sohn des Drechslers, am Freitag schon früh aufgemacht. Ich hatte mich zu allem Unglück in der Gießhausgasse einquartiert, wo ein mir bekannter Offizier früher ein Zimmer bewohnte, dessen Zimmer hatte ich übernommen, und Konrad schlief bei mir auf dem Sofa. Denn Konrad ist ein junger Rekrut; was er hat, hat er im Elsaß, er ist seinen Eltern nicht nach Deutschland gefolgt und sitzt wie ich zwischen Tür und Angel. Nun mußten zu unserm gemeinsamen Unglück grade in unserm Hause ein paar welsche Kavalleristen einquartiert werden, und heute will die Wirtin auch unser Zimmer lieber an französische Kavallerie als an deutsche Nachzügler vermieten, obwohl sie ein gutes elsässisches Weib ist, sauber und gradeaus, aber der welsche Franc klingt besser als unser Messing. Wir mußten also heraus und waren heimatlos. Unsere Siebensachen trugen wir in den Keller. Es war frostig klares Wetter, so daß das Eis in den Pfützen knackte. Die Sonne zeigte sich gegen neun. Auf allen Wegen kamen die elsässischen Bauern in die Stadt, diesmal nicht, um unsere ungeschützten Militärmagazine auszuplündern oder um zu wuchern, sondern um zu sehen, wer jetzt hier regiert. Und ich hoffe von Herzen, daß man härter mit ihnen umspringt, als wir es leider getan haben. Ja, ich gestehe Dir, Friederike, als die grausamsten Menschen habe ich im Krieg während der ganzen Kriegsjahre die Bauern erkannt (mit einigen Ausnahmen), welche Schinken und Eier und Mehl vergruben und versteckten und von den Städtern Wucherpreise nahmen. Sie haben den Tod vieler Armen auf dem Gewissen. Die kutschierten nun jetzt auf allen Wegen an, taten sich großartig und wichtig mit ihren Messingknöpfen und weißen Hauben, und die dummen Städter freuten sich noch daran. Wenn es aber ein göttliches Gericht schon zu unsern Lebzeiten gäbe, so hätte sich der Herr gewiß gefreut, sie endlich einmal beim Einzug der Franzosen so alle beisammen auf einem Fleck zu haben, die Lügner, Heuchler, die heimtükkischen Wucherer, und hätte unter ihnen gewütet, daß ihnen das gestohlene Silbergeld nur so aus der Tasche flog. Auch die Hungerleider aus der Stadt kamen an, die großen und die kleinen, aber auch die Reichen. Und da will ich nicht versäumen, Dir, liebe Friederike, zu erzählen, welche Abscheulichkeit ich gestern mit eigenen Augen ansah. Ich spazierte mit dem jungen Konrad durch die Meisengasse, es war elf Uhr, nicht mehr so laut, wir suchten die Stille, weil wir betrübt waren, da hören wir vor uns einen Lärm, und was sehen wir? Eine Gruppe gutgekleideter Leute, mehrere ältere, mit dicken Bäuchen, einige waren Juden, an zwölf Personen. Die hatten sich untergefaßt und zogen die Meisengasse herunter. Sie nahmen die ganze Straße ein, so daß wir beide in einen Hausflur traten, sie tanzten und schrien immer so weg: Vive la France, vive la France. Konrad meint, sie hätten auch gerufen: Vive le beefsteak. Ich habe mir vorgenommen, wenn ich, was ich ja nicht glaube, einmal einem von diesen unter vier Augen begegnen sollte, so werde ich ihn so behandeln, daß man den ganzen Kerl in eine Suppenterrine gießen kann.
    Die guten Leutchen hätten auch gern auf dem Platz vor dem Theater dem Denkmal vom Vater Rhein ein Leids getan. Es heißt im Lied: ›Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein, wenn sie wie gierige Raben sich heiser danach schrein.‹ Aber der gute Vater lag schon hinter einem Holzverschlag, in Form einer kleinen Pyramide, denn morgen sollte der General Gouraud hier vorbeiziehen, darum ließ man den alten Vater Rhein hinter seinem Zaun in Ruhe.
    Die Bauern und die Städter, die großen und die kleinen, die Männer und die Frauen hingen also am Freitag früh wie Krammetsvögel an den Dachfirsten, an Laternenarmen, auf Baumkronen, und die Erde bedeckten sie wie eine zusammengepferchte Schafsherde, und hatten eine Unmenge kleiner Fahnen bei sich, blauweißrot, das Herz stockte mir bei dem Anblick, Friederike, bei jedem blauweißroten Bändchen im Knopfloch oder am Hut

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