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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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ballte sich mir die Faust, daß diese Schande auf deutscher Erde möglich ist. Am Schirmecker Tor, auf der Eisenbahnbrücke, standen zwei Lokomotiven, die sie als Plattform benutzten. Auf die Schornsteine setzten sich die großen Jungs, und diese Rotznasen, die in unsere Schulen gegangen waren und für deren Unterricht wir Jahr um Jahr soundso viel zuzahlen mußten, hingen an dem Brückengeländer und krähten: ›Vive la France! Gebbs dem Schwob!‹ So groß, Rike, ist die Untreue der Menschen, und wir müssen unser Herz gewaltig zusammenpacken, auf daß es nicht zerbricht. Sie hatten angezeigt, es würde um Uhr neun, zu Beginn des Einmarsches, ein gewaltiges Glockenläuten losgehen. Aber da wurde ihnen ein schöner Streich gespielt. Wie es neun war und alle Glocken krachen sollten, da klimperten bloß in der Ferne zwei oder drei, und mehr wollten sich nicht einstellen, soviel sie auch läuteten. Denn es waren nicht mehr da, denn wir hatten sie während des Krieges fein eingeschmolzen, und da haben sie uns in den Schlachten gegen die Franzosen manchen guten Dienst erwiesen.
    Wer einzog, war der General Gouraud. Ihm fehlt der rechte Arm. Den soll er an den Dardanellen verloren haben, wo er von einer unserer Granaten sechs Meter weit geschleudert wurde, wobei er den Arm verlor und sich beide Beine brach. Und obwohl er so verletzt wurde, soll dieser General nach drei Jahren wieder aktiven Dienst getan haben, sogar unserm General von Einem in der Champagne entgegengetreten sein. Er ist ein großer schlanker Mann, ehemaliger Afrikaner. Er hat glänzende Augen und eine stolze Miene. Was man auch von den Franzosen sagen kann, sie haben tapfere Offiziere.
    Hinter dem General kamen die Chasseurs d’Afrique, das 1. Fremdenlegionregiment. Du wirst gewiß fragen, mein liebes Weib, warum die Franzosen grade die Fremdenlegion an die Spitze ihrer Einzugstruppen gesetzt haben. Du kannst es gleich verstehen, aber Du wirst Mühe haben, nicht sofort danach stark auszuspucken. Denn warum haben sie die Fremdenlegion an die Spitze gestellt? Weil dieses 1. Regiment – höre und staune – voller Elsaß-Lothringer steckt! Voller deutscher Landesbrüder, die im Krieg gegen uns standen! Die Hochverräter haben gegen ihr eignes Vaterland gefochten, was ich für das schändlichste Verbrechen halte, und steht gleich hinter der Sünde gegen die Eltern. Mir sind die Augen bei ihrem Anblick aus dem Kopf getreten. Ich mußte mich greulich zusammennehmen, als sie ihnen zujubelten. Artillerie und Infanterie, alles in himmelblauer Uniform zog hinterdrein. Mächtige Kanonen dabei. Sie zeigten sich die berühmte 75-mm-Kanone, an der ich nichts Besonderes fand. Schwer müssen sie den Unsern zugesetzt haben mit den langen Flachbahnkanonen und einer Kanone, die 10-cm-Rimailho-Feldhaubitze heißt. Es fuhren auch Maultiergespanne, die trugen Kästen, das war die Gebirgsartillerie. Es hörte nicht auf mit dem Gebrüll: Vivat Frankreich, nieder mit Deutschland. Da beschlossen wir, nicht zu warten, bis sich all die Straßburger Vereine vor uns verlaufen hatten, um ihren Eidbruch vor der ganzen Welt zu bekennen, die Harmonie, Stella, Argentina. Wir gingen rasch neben dem Zug über die Weißturmbrücke, dann zum alten Weinmarkt. und zum Eisernen-Manns-Platz. Da ritt die Spitze grade um den Kleberplatz herum. Und am Kleberdenkmal hatten sie einen ungeheuren Mast errichtet, da hißten sie eben ihre schöne neue Fahne unter Trompetengeschmetter, wie überhaupt alles im Zug Kapellen hatte und trommelte und blies, was das Zeug hielt. Darauf kamen wir über den Broglie und wohnten einer großen Parade und Truppenrevue bei bis über den Mittag, wobei wir furchtbar froren trotz des Gedränges. Aber ich dachte: lieber einen Zeh erfroren, als dies nicht gesehn und Dir nicht geschrieben.
    Wir standen auf dem Kaiserplatz. Armselig, ungeschützt und unser Herz mit Trauer erfüllend, so erhob sich der prächtige Kaiserpalast vor unsern Augen. Wie ein Gefangener stand er da, sie konnten ihm aber seine Würde nicht abnehmen. So laut auch ihre Clairons bliesen und so viele bunte Truppen auch vorüberzogen, der junge Konrad Witz und ich blickten nur auf den Kaiserpalast und baten ihn in der Stille unseres Herzens um Entschuldigung, daß wir einer solchen Parade beiwohnten. Über die Theaterbrücke kam dann die Feuerwehr mit ihrer Musik, auch der neue Bürgermeister, der natürlich ein Sozi ist, er trug eine Trikolore um den Leib und heißt jetzt nicht Bürgermeister, sondern

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