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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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genau weißt, ob wir wirklich und wahrhaftig alles verloren haben und ob alles mit uns aus ist oder im Gegenteil. Das Datum des heutigen Tages ist der 24.November 1918, ein heiliger Sonntag, und morgen also will Kundt über den Rhein gehn in unser altes Deutschland, das Du und ich doch gewiß lieben, wie es unsere heilige Pflicht ist und noch dazu in so schwerer Not, aber Amt und Würden und unser Brot haben wir doch im Elsaß gefunden.
    In meinen Forstbezirk bin ich die zwei Wochen, seitdem ich Dir zuletzt schrieb, nicht ein einziges Mal zurückgekehrt. Denn die erste Zeit waren alle Wege von rückwandernden deutschen Soldaten versperrt, die Eisenbahn fuhr gewiß, und ich stand manchmal wehmütig an unserm Zug, aber, liebe Rike, es waren so viele bekannte Gesichter darin, daß ich aus Furcht vor Verrat lieber in Straßburg verblieb. Welche Ruchlosigkeiten hier von Leuten in kaiserlicher Uniform bis zum Einundzwanzigsten dieses Monats begangen wurden, werde ich Dir mündlich schildern. Sie haben die rote Sozifahne auf dem Straßburger Münster aufgepflanzt und sich auch sonst schweinisch benommen. Anständige reichsdeutsche Bürgersleute, die ich kennenlernte, erklärten mir freimütig: wenn das also Deutsche sind und die Deutschen nichts dagegen machen, dann müßten schon die Franzosen kommen. Wobei ich ihnen leider nicht widersprechen konnte. Sie haben alle Kaiserdenkmäler aus Haß demoliert und bloß die leeren Sockel stehen lassen, und was sie da anschreiben, bringt mein bekümmerter Mund nicht über die Lippen. Es haben auch welche in den Landgemeinden alles Vieh aufgekauft und gegen die bestehenden Bestimmungen geschlachtet. Das waren die verhetzten Bauern, denen welche erzählten, die Französle kommen ja doch bald, und da wird das Vieh nichts wert. Da wurde das Vieh abgeschlachtet. Wer aber hat das Schlachtvieh nachher aufgefressen? Glaubst Du, liebe Friederike, der grundgütige Gott hätte unsereins einen Hammelknochen, ein Stückchen Kalbfleisch zugeschoben? Mit Betrug wurde es uns entrissen, selbst wenn wir zahlen wollten. Wo ist es hingekommen? Zu den Hamsterern und den Schleichhändlern. Und so steht es mit Milch und Kartoffeln. So etwas hat unser Elsaß noch nicht erlebt. Der alte liebe Oheim hat mich auch ein paarmal zu den Zusammenkünften unserer Offiziere mitgenommen, die hier durchreisen, in Zivil und arm wie eine Kirchenmaus. Ich selber habe manch einem geholfen, der verzweifelt war und so blutjung, und ich habe mich mit vielen unterhalten, weil Du mir ans Herz gelegt hast, alles zu tun, daß wir wieder in unser schönes Forsthaus zurückkehren, wo unsere beiden Einzigen geboren sind und wir selbst viel Freude erlebt haben. Aber das ist ganz vorbei, mein armes treues Weib. Ihr habt schon den schweren Schritt getan und seid in unsere alte geliebte Heimat zurückgekehrt. Ich kann mich aus Kummer noch nicht losreißen und habe deshalb von der französischen Besatzung schon viel Leids erfahren. Denn wir stehn schon unter französischer Besatzung, Friederike! Ich weiß nicht, ob Eure Zeitungen darüber melden und ob der rote Sozi bei Euch überhaupt Zeitungen drucken läßt und nicht unser aufgeklärtes Vaterland in lauter Lug und Trug ersäufen will.
    Erfahre durch mich die lautere Wahrheit. Wir hier in Straßburg sind französisch! Meine Feder, liebe Friederike, sträubt sich, es hinzuschreiben, aber es ist so. Und wie muß dann unsere liebe Stadt trotz der nahen Grenze französisch sein. Wenn ich doch da wäre und den ganzen Lügnern und Welschen mit meinem Ochsenziemer eins über den Kopf geben könnte. Ich wage mich aber nicht mehr auf die Bahn. Ich habe heute nacht, als ich an Euch dachte, im Traum unserm heuchlerischen Gastwirt vom Goldenen Kranz und dem Postassistenten, meinen ehemals dicksten Freunden, die sich welsch benommen haben, wie ich Dir später berichten werde, mit meinem Hirschfänger beiden den Genickfang gegeben. Gebe Gott der Allmächtige und Gerechte, daß sie dieser Stoß, so herzhaft geführt, auch getroffen hat.
    Am Freitag, vorgestern, ist es also geschehn, und der große Einzug hat stattgefunden. Am Tag zuvor haben sie frühmorgens Sicherungstruppen vorausgeschickt. Die kamen durch das Schirmecker Tor herein, wie General Gouraud am Tage drauf. Aber trotzdem sich viele Menschen einfanden, gab es nicht viel zu sehn. Es waren drei Bataillone einer fliegenden Brigade. Zu ihrem Empfang hatten die Pompierkapellen, die, wie Du weißt, in Straßburg sehr beliebt sind, ein großes

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