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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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geschmückten Schlapphut streng hervor. Er glaubte, die Soldaten zu besichtigen, aber sie beguckten ihn: »Möchtest du den?« »Was hat er, wieviel gibt er, dann melde ich mich.«
    Dann kam, während er noch ging, der zweite Vater, der Justizrat, eine offensichtliche Magistratsperson, bei der man keine Witze machte.
    Nach seinem Gang, an drei Gliedern vorbei, hörte man ein Geräusch. Dann verbreitete sich ein Flüstern in der Kompanie, die Leute waren schwer in den Reihen zu halten: »Er hat ihn.« »Wer ist es?«
    Ein Gewehr war auf den Boden gestürzt, der Nachbar hatte es aufgehoben. Vater und Sohn hielten sich umarmt und bewegten sich nicht.
    Die Leute rechts und links und der begleitende Unteroffizier blickten zur Seite und auf den Boden. Manche ließen die Köpfe sinken und wischten sich mit dem Handrücken die Augen.
    Darauf wurde der Justizrat, während der andere noch ging, über den Hof in das Büro des Colonels geführt. Er hatte ein glührotes, völlig auseinandergeratenes Gesicht. Er schritt neben dem Unteroffizier und schien nicht zu wissen, daß er ging und wohin er ging. Erst als ihm im Büro der Colonel die Hand entgegenstreckte und sie kräftig schüttelte und er antworten mußte, brachte er ein paar Worte heraus und kam zu sich. Er benahm sich sofort wie ein höflicher Mann, dankte dem Colonel und glaubte, nicht zu lange den Herrn Oberst aufhalten zu dürfen, dankte zuletzt noch für die besondere Güte des Vorgesetzten seines Sohnes, ihm nachmittag Urlaub in die Stadt zu gewähren.
    Auf seinem Hotelzimmer ging der alte Mann hin und her. Er hatte noch keinem gesagt, was ihm widerfahren war. Er glaubte nicht in dieser Welt zu sein. Er war verwirrt, zog sich die Jacke aus und an, auch die Stiefel aus und an. Schließlich legte er sich auf sein noch ungemachtes Bett, und so schlief er rasch ein, bis zum Nachmittag Schlag ein Uhr, wo es energisch klopfte, er ärgerlich »herein« rief und sein Sohn in Uniform über die Schwelle trat und um Entschuldigung bat.
    Sie blieben bis sechs Uhr nachmittags zusammen. Vor dem Andrang der neugierigen, glückwünschenden, freudigen und der vielen weinenden Menschen retteten sie sich in das große Picadillycafé, wo sie im Gewimmel eine lange Stunde sprechen konnten.
    Was der Justizrat von seinem Sohn erfuhr, unterschied sich wenig von dem, was damals in allen Ländern Väter von ihren Söhnen hörten. Leise und scheinbar teilnahmslos sprachen sie, die Gesichter gegen die weiße Marmorplatte gewandt. Der Sohn klärte sein Schweigen auf, er fürchtete den Vater zu belasten.
    Liebe und Freude im Herzen des Vaters, Liebe und Freude bei dem Sohn.
    Der Krieg war zu Ende, die Mutter tot, vier Jahr hatten sie nichts voneinander gehört. Bei aller Liebe aber: es war ein Racheengel, der dem alten Justizrat gegenüber saß. Sie besprachen die Familienangelegenheiten. Sie waren nicht mehr bloß Sohn und Vater.

Frau Anny Scharrel
    Um die Stunde, wo die französischen Truppen unter General Gouraud durch das Schirmecker Tor einrückten, versammelte man sich in Paris im Nebel vor der ehrwürdigen Statue der Stadt Straßburg auf der Place de la Concorde.
    Der Kriegspräsident Poincaré sprach:
    »Wir konnten an diesem Denkmal nicht vorübergehen, ohne den geheimen Schmerz unserer Niederlage zu fühlen und ohne etwas wie einen Vorwurf für unsere Untätigkeit zu verspüren. Wir warteten schweigend auf das Erwachen der Gerechtigkeit. Deutschland, das diese Gerechtigkeit in Scherben geschlagen glaubte und ihr den letzten Dolchstoß versetzen wollte, hat sie nun aus dem Schlaf geweckt. Der Krieg, der uns erklärt wurde, hat uns von dem Druck befreit, in dem wir uns, infolge unserer Niederlage, befanden. Wir gelobten feierlich am 4.August 1914, nicht eher die Waffen niederzulegen, bevor Elsaß-Lothringen uns nicht zurückgegeben werde. Wir haben die qualvollsten Wechselfälle von Hoffnung und Enttäuschung erlebt. Die Nation hat furchtlos und ohne Murren die Blüte ihrer Jugend dahingegeben.
    Nichts hat ihren Willen gebrochen, die Energie ist belohnt, Elsaß-Lothringen wurde wieder französisch.
    Deutschland hat sich nicht geschämt, sich an uns für seine Armeen um Schutz gegenüber der Bevölkerung zu wenden. So wurde es gezwungen, sich in grausamster Weise zu dementieren. Welch ein Gefühl für alle, die diesen seit fünfzig Jahren erwarteten Ruhmestag erlebten. Um die Rückkehr Elsaß-Lothringens an Frankreich zu rechtfertigen, genügt die jahrhundertelange Dauer gemeinsamen

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