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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Freude Fritz ganz heilte. Die Wunde des Vaters war leicht. Aber Fritz lag lange Wochen mit schwerem Fieber im Lazarett. Doch er war jung und genas. Daß er so rasch wieder ganz gesund wurde, das machte ein Brief des Kaisers. Darin stand nämlich: ›Wegen Ihrer großen Tapferkeit und wegen Ihrer vielen Siege ernenne ich Sie zum Leutnant!‹ Meint ihr nicht, daß das eine gute Arznei war? So war aus dem armen Schlosserbuben ein Offizier geworden. Und ich glaube, er erhielt auch den Verdienstorden, den Orden pour le mérite. Ich gönne es ihm. Ihr auch?«
    Frau Anny beobachtete Hilde, während sie las: »Es wird ihn gefreut haben, was meinst du?« Sie griffen in den Papierhaufen. Ein Militärfahrschein dritter Klasse, Schnell- und Eilzüge dürfen nicht benutzt werden, auf der Rückseite: Infanterist Scharrel zur Wiederherstellung der Gesundheit. Ein Theaterzettel, Uniontheater, in der rechten Ecke stand: Bei Fliegerangriffen ruhig bleiben, Garderobe hängen lassen, Aufenthalt bei Gefahr für Besucher im Keller des Hauses. Gespielt wurde: »Guten Morgen, Herr Fischer«, ferner »Eine vollkommene Frau« und »Der Schockschwerenöter«. Frau Anny erzählte, sie hätten damals viel gelacht, den kleinen Roger hätten sie auch mitgenommen, weil er sich vor Fliegeralarm fürchtete. Sein Soldbuch, es geht bis Mitte Mai. Ein Bezugsschein für ein fertiges Nachthemd, ein Anteilschein zur fünfprozentigen Kriegsanleihe. Ihr eigenes Schreiben in einem Maschinendurchschlag: »Gesuch der Witwe Anny Scharrel in Straßburg um Versetzung ihres Sohnes, Hohem Oberkommando erlaube ich mir ganz ergebenst erneut die Bitte zu unterbreiten, wegen eigner schwerer Erkrankung meinem Sohn Franz-Maria die Genehmigung zu erteilen – meine Bitte glaube ich durch Nachstehendes begründen zu können, mein Ehemann« (pfui, diese Würdelosigkeit vor Unteroffizieren). Frau Anny zeigte Hilde eine Zeitung. Extrablatt der »Straßburger Post»: »Wie wir erfahren, ist Nachmittag vier Uhr die volle Mobilmachung der französischen Streitkräfte angeordnet worden, durch kaiserliche Verordnung ist der Reichstag auf den 4.August einberufen, Preis fünf Pfennig.« Darunter hatte der kleine Bruder mit sauberer Schülerschrift gemalt: »Sonntag, den 2.August 1914: Der kommandierende General von Straßburg ist von Deimling, der Bürgermeister von Straßburg ist Dr.Schwander, der Statthalter von Elsaß-Lothringen ist von Dallwitz. Der Kaiser von Deutschland ist: Wilhelm II., die Kaiserin von Deutschland ist Auguste Viktoria. Der Kaiser von Österreich: Joseph II. Der Präsident von Frankreich: Poincaré. Der König von England: Georg. Der König von Serbien: Peter. Der Zar von Rußland: Nicolaus.«
    Ein kleines bedrucktes grünes Blatt (»Das habe ich ihm selbst ins Feld nachgeschickt«): Depesche. Berlin, 12.Dezember 1916:
    »Soldaten! In dem Gefühl des Sieges, den ihr durch eure Tapferkeit errungen habt, haben ich und die Herrscher der treuverbündeten Staaten, dem Feind ein Friedensangebot gemacht. Ob das damit verbundene Ziel erreicht wird, bleibt dahingestellt. Ihr habt weiterhin mit Gottes Hilfe dem Feind standzuhalten und ihn zu schlagen. Großes Hauptquartier. Wilhelm I. R. An das deutsche Heer.« Darunter: »Wenn trotz dieses Angebots der Kampf fortdauern sollte, sind die verbündeten Mächte entschlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu führen, lehnen aber feierlich jede Verantwortung dafür ab.«
    Hilde: »Er war sicher froh darüber. Wenn sie damals darauf eingegangen wären.« »Du meinst, er lebte dann noch.« Die Frau stützte den Kopf: »Jetzt ist es geschehen. Wenn du ihn jetzt fragtest und er käme als Schatten hierher (ich stelle ihn mir manchmal vor, hier in der Stube, er sitzt da drüben), dann kenne ich meinen Franz-Maria. Er würde es sich verbitten, ihm solche Fragen zu stellen. Ob er mit seinem Leben etwas Besseres hätte tun können, als die Tyrannei – Tyrannei war sein Ausdruck – zu vernichten, fragte er mich oft. Er hatte viel auszustehn in seiner Kompanie.«
    Eine Reihe leerer Ansichtskarten vom Verein für Säuglingsfürsorge, die sie einer Sammlerin abgekauft hatte; vorn trugen sie das Motto: »Wir beugen uns vor Gott, weil er so groß ist, und vor dem Kinde, weil es so klein ist.« (Er hat keine Karte benutzt, er hat sich, wie ich ihn kenne, über solche Dummheiten amüsiert.) Auf einem Bild eine junge Mutter mit einem Säugling im Arm, ein Adler über ihnen: »Der deutsche Aar hält schützend seine Fittiche über euch, ihr

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