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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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stelle deine Wachen aus. Sie: »Sonst zeig’ ich ihn an.« Der Pfarrer rang die Hände, sie bockte still.
    Er verabschiedete das Mädchen rasch, nahm einen Kognak, um die Ferkelei herunterzuspülen, ließ einen Tischler ein, der die Geburt eines Sohnes meldete und nicht grade entzückt schien, als er ihm Glück wünschte: »An Kindern fehlt’s uns grade nicht.«
    Dann drängte es ihn zum alten Hegen im Pförtnerhaus herunter. Die Leute sollten ihm die Wohnung bewachen, vielleicht auch den Transport besorgen, wenn es für sie nicht zu schwer war. Und dann zum Lazarett. Zu den letzten Opfern dieses schlimmen Krieges.
    Wieder eine Beerdigung.

    Durch das breite Gittertor links vom Haupteingang traten vier Männer aus der Leichenbaracke zwischen den Bäumen hervor und trugen den Sarg mit dem jungen Richard, als Soldat, Leutnant und Flieger. Von Offizieren folgten hinter dem Pfarrer nur der lange Oberarzt, der Arzt der Inneren und Chirurgischen Station, der Augenarzt, alle unkenntlich, ohne Säbel, Mütze. Es blies keine Musik. Schnell, wie es vom Garnisonältesten befohlen war, um nicht Aufsehen zu erregen, ging es die eisige Allee herauf. Hinter dem Sarg schritten, vielmehr liefen zwei einfache Soldaten mit roten Kokarden, sie waren vom Hauptsaal, dicht neben Richards Einzelzimmer und hatten ihm gelegentliche Dienste erwiesen. Ein Sanitäter fuhr im Trab den dickvermummten Oberleutnant Becker auf einem Krankenstuhl. Neben Becker, vermummt wie er, Leutnant Maus. Mit Blumen im Arm die Oberschwester der Station und die große Schwester Hilde im langen schwarzblauen Überwurf.
    An der Mauer war ein Loch in der Erde aufgebrochen für Richard, der wie eine Libelle in der Luft gespielt hatte und gefallen war. Sie mußten mit dem Sarg um zwei frische Erdhügel herum, die man schon aufgeworfen hatte für die beiden von Heiberg in der Kaserne erschossenen Soldaten.
    Der Pfarrer knöpfte den Mantel auf, man entblößte die Häupter, er zog ein kleines Buch aus der Tasche und las. Er segnete den, den er den Entschlafenen nannte. Aber es war mehr als ein Schlaf, was der tat.
    Die erste Scholle klapperte auf den Sarg. Hilde biß sich auf die Lippe. Sie haben’s eilig. Sie schmeißen ihn in das Grab wie einen Hund. Auf dem Rückweg wollte Leutnant Maus sich ihr nähern, sie hielt sich an die Oberschwester. Der Chefarzt und der Pfarrer bogen gleich ab, sie machten, daß sie nach Hause kamen, denn schon sammelten sich hier Leute, die es auf die Kasernen abgesehen hatten. Der Augenarzt knurrte: »Eine Kompanie und zwei Maschinengewehre, und der ganze Zauber wäre in einer Minute beendet.« Der lange Chefarzt grimmig, schlug den Kragen hoch: »Reden Sie nicht, Kollege, Sie erkälten sich. Warum Sie grade Augenarzt geworden sind.«

    Für den frühen Nachmittag wurden alle Mann auf den riesigen Exerzierhof der Artilleriekaserne berufen, und von einem Fenster der ersten Etage schrien Soldaten heraus, neben denen einer eine kleine rote Fahne schwenkte. Das war der Soldatenrat. Einer schrie herunter: »Man plündert. Die Wachen werden scharfe Patronen bekommen. Wer ein und aus geht, wird kontrolliert.« Absolute Stille. Oben Gebrüll: »Wer erwischt wird, kommt vor Gericht.« Einzelne unten: »Wer ist das Gericht?« »Kameraden, es muß Ordnung gehalten werden. Diejenigen, die noch nicht wissen, was Revolution ist und die sie kompromittieren, sollen es erfahren. Wir haben Verräter zwischen uns. Wir haben Feinde der Revolution unter uns. Wer stiehlt, ist ein Feind der Revolution. Die Elsässer werden uns überfallen.« »Wir haben Gewehre.« »Sie auch. Gewehre und Maschinengewehre vom Flugplatz sind verschwunden. Wo sind sie?«
    Unwillen unten. Man schrie: »Abmarschieren!« Männer im ersten Stock: »Das ist leicht gesagt. Wir warten auf Waggons.« »Da könnt ihr lange warten. Wir wollen abziehen.«
    Es wurde bekanntgegeben, daß um fünf vor der Essenausgabe noch ein Appell auf dem Hof stattfinden würde, nach einer Sitzung des gesamten Soldatenrats.

    Im hallenden Gang, im ersten Stock der Kaserne, trafen sich der Garnisonälteste, der Generalmajor, und der Major des Dragonerregiments, beide im feldgrauen Mantel, um ihre Achselstücke zu verdecken, ihre Mützen ohne Kokarden. Der Major öffnete vor dem General die Tür zum Kasino der Unteroffiziere. Es war ein einfacher länglicher Raum, dessen ganze Mitte von einer Tafel eingenommen war, die auf beiden Seiten Stühle umgaben. Der Raum lag im Halbdunkel des winterlichen Nachmittags.

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