November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Kalte Luft, Speisegeruch. Auf der Tafel, mit einem unsaubern Leinentuch bedeckt, lagen und standen Bierflaschen, leere und halbleere Bier- und Weingläser, Brot verkrümelt. Am Kopfende, das ein Korbstuhl markierte, stand ein Mittagessen halb abgegessen, auf drei Tellern Fleisch und Gemüse, zerknüllte Servietten daneben, am Boden eine Gabel.
»Öffnen Sie bitte das Fenster, Herr Major«, bat der General. Das Fenster ging zum Kasernenhof hinaus, der Major riß es auf, flüsterte zurück: »Treten Sie beiseite, General, die Leute blicken herauf.« Der General ließ sich in den Korbstuhl nieder: »Sehen Sie, wie das frißt. Glauben Sie, daß ich heute einen Bissen zu mir genommen habe? Bleibt alles in der Kehle stekken.« »Es sind Schweine, sie haben es nicht anders gelernt.« Der General schob mit dem Unterarm den Teller zurück, legte seine Mütze auf den Tisch: »Da sehen Sie, wie das sich eine Herrschaft vorstellt. So fangen sie an.« Der Major kniff ein Auge zu, beugte sich zu dem General herunter: »Ich denke, man soll sie darin nicht stören.« Der General rückte sein Monokel zurück, blickte auf: »Wie«, und hielt die Hand an die Ohrmuschel. Der Major, kurzgeschnittener, graubrauner Schnurrbart, ebensolche aufrechtstehenden Haare auf einem schmalen Schädel, sehr blasses strenges Gesicht mit einer trichterförmigen blutigroten Narbe unter der linken Schläfe, saß ihm zur Seite: »Sie fangen gut an.« Der General: »Das nennen Sie gut? Die ruinieren alles.« Der Major zuckte die Achsel, zupfte seinen Schnurrbart.
Der General: »Unsern Oberst hat seine Witwe reklamiert, sie war bei mir, sah aus – furchtbar, die weibgewordene Rachsucht, hat mich gefreut, verzichtet auf Bestattung hier, unter Mördern und Banditen, er wird schon weg sein.« »Bravo.« »Wo ist der Adjutant, Leutnant von Heiberg?« »Über alle Berge.« »Wenn Sie den sehen, meinen Dank, Dank aller Offiziere. Können Sie offen sagen.« »Werde mich hüten, Herr General.«
Der General wandte sich mit einem Ruck zur Wand um: »Knipsen Sie doch mal Licht.« Rechts an der Wand neben Buffet und Anrichte war der Lichtschalter. Wie zwei Birnen an der Decke aufflammten, sah der General, was er wollte. »Bitte aus.« An der Rückwand das Kaiserbild war total zertrümmert, es hingen unten und seitlich nur Fetzen aus dem Rahmen, oben erkannte man den hellen Kopf mit dem blitzenden Helm und eine Schulter; es war ein Reiterbild. »Das Ganze runter von der Wand«, zischte der General, der beide Arme auf den Tisch gepackt hatte, »schaffen Sie’s?« »Sofort.« Der Major stieg vom Stuhl, stellte das Bild an die Wand, er blickte dann auf die Uhr, die oben in die Mauer eingelassen war: »Es ist – ah, die Uhr steht«, er sah auf sein Handgelenk: »Es ist zehn durch. Die Herren sind nicht da.« »So warten wir eben.«
Wie sie sich’s im kleinen Nebenraum auf dem Sofa neben dem Klavier bequem machten – benutzte Kaffeetassen und Zigarettenstummel auf dem Tisch –, wurde es im Speisesaal laut, das Licht flammte, Stimmen, man riß die Tür zum kleinen Unterhaltungsraum auf: »Ah.« Die Offiziere erhoben sich. Man stand um den Tisch herum, einer brüllte: »Abräumen«, eilig wurde abgeräumt, es waren zehn Soldatenräte, von denen einige finster zu den Offizieren herüberblickten, bevor sie sich setzten. Unter den Räten ein Offizierstellvertreter und zwei Unteroffiziere. Auf den Korbstuhl am Kopfende setzte sich ein großer breiter älterer Soldat mit buschigen Augenbrauen, langem hellbraunen Schnurrbart, den er zu dünnen Spitzen auszog, ein sehr unruhiger Mann, der sich auch im Sitzen nicht beherrschte, er sprach abgerissen, begann ohne Formalität: »Also, der Abmarsch.« Er blickte sich am Tisch um: »Wo sitzen die Offiziere?« »Links am Ende der Tafel.« »Warum bloß zwei?« Der Major: »Es sind nicht mehr eingeladen.« Männer am Tisch: »Sie laufen ja alle weg. Wir brauchen nicht mehr. Zwei genügen.« Einer hob den Arm: »Warum fragst du, Kamerad? Im Soldatenrat sind Soldaten. Mehr Gäste sind nicht nötig.«
Der bäurische Vorsitzende stierte zu dem General und dem Major herüber: »Das ist Herr General und Herr Major. Wo ist die Intendanz?« Keine Antwort. Der Vorsitzende wandte sich an seinen Nachbarn, der ein Blatt vor sich hatte und mit einem Füllfederhalter Notizen machte: »Du hast eingeladen?« Der gleichmütig, im Notieren: »Die Intendanzoffiziere? Keine getroffen.« Lachen. Man blickte auf die Offiziere. Der Major: »Vielleicht
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