November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
ihnen ihr weiblicher Anhang mit weiten Schaukelröcken, aus denen die strammen kurzen Beine in bunten Strümpfen hervorsahen. Auf den Köpfen saßen ihnen die gewaltigen weißen Hauben wie große leichte Vögel, die sich draußen in den Wäldern darauf niedergelassen hatten und die sie nicht losließen, so schleppten sie sie eben als ihr Zubehör in die Stadt hinein. Sie waren wie ihre Männer und Brüder ein draller rotbäckiger Menschenschlag. Sie flanierten nicht wie die Städter menschlich einzeln auf den Trottoiren und drängten in die Geschäfte, sondern hatten sich mit Gespannen, Ochsenwagen, Pferdewagen gerüstet, und einige schoben Handkarren, und diese Handkarren waren leer, ihre Besitzer ließen sie auf der Gasse stehen und setzten sich in Kneipen. Es war nicht klar, was sie in solcher Anzahl mit diesen Transportmitteln hier wollten – sie, die sich selten in der Stadt zeigten, denn ihre Waren holte man ihnen an Ort und Stelle ab, gierig, unter Schmeicheleien. Aber diese Herren und Herrinnen lauerten jetzt hier. Auf alle Nachbardörfer war das Gerücht von der Revolution gedrungen, und das hieß: in der Stadt geht es drunter und drüber, es gibt keine Obrigkeit mehr, man nimmt, was man kriegt, man schleppt, was man findet. Und darum waren sie erschienen, viele schon morgens. Aber da erfolgte noch nichts, so tranken sie inzwischen.
Es gab noch ganz andere Menschen, vor denen man aber auswich, die auf dem Fahrdamm in kleinen Trupps zu dritt, viert oder fünft wanderten, arme abgerissene Männer, viele von großer kräftiger Gestalt, die meisten mit wilden braunen und blonden Bärten. Sie trugen hohe schwarze Soldatenstiefel, manche bloß Pantoffeln und zerfallene Schuhe. Um den Leib hingen ihnen Soldatenröcke, schwarze lange Mäntel, manche zeigten eine Art von ehemaligem Pelz. Die meisten blickten blaß und hohläugig. Das waren halbverhungerte Russen aus dem Gefangenenlager, Reste der glorreichen Masurenschlacht. Sie blieben ein, zwei Tage draußen, als alle Wachen wegliefen. Dann mußten sie sich zerstreuen, sich retten, wie sie konnten, denn wer sollte sie ernähren. In den Bündeln, die sie in den Händen trugen, befanden sich Eßgeräte, kleine Holzspielsachen in Gestalt von beweglichen Eidechsen, Schlangen, mühsam und künstlich geschnitzt und primitiv bemalt; die boten sie aus, um zu einem Stück Brot zu kommen. Es gab Trupps von ihnen, die hatten sich in den Besitz von Wägelchen gesetzt, da fuhren sie ihre Kranken und Betten. Es erschienen welche, die Bettsäcke aus den Lagern schleppten. Man sah diese Züge sich am Markt aufstauen. Damen der Stadtgesellschaft hatten für sie vor dem Café eine Art Rast eingerichtet. In Schwesterntracht und in ziviler Kleidung verteilte man Brot und gab Milchkaffee, einige ließen Geld in die Hände der Armen gleiten.
Den Patrouillen vom Soldatenrat, die sich bewaffnet durch die Straßen bewegten, war in dem Gedränge nicht wohl. Denn sie fühlten, daß man sie nicht beachtete, ja es war nicht unwahrscheinlich, daß einige von den jungen Leuten, die hier frech mit herumflanierten, es auf sie abgesehen hatten. Es gab Patrouillen, die sich darauf einigten, in die Kasernen zurückzugehen und zu erklären, ohne Verstärkung könnten sie den Kampf mit den Leuten nicht aufnehmen. Darauf berieten die anwesenden Mitglieder des Soldatenrats, ob man solche Verstärkungen ausschicken sollte oder nicht, sie könnten provozierend wirken, man wollte doch lieber mit der vorhandenen alten Polizei kooperieren.
Da fuhren aber schon an der Kaserne vor, und wurden sogleich weiter ins Lazarett geleitet, die ersten verwundeten Soldaten. Sie waren nur leicht beschädigt, die Leute benutzten offenbar ihre kleinen Blessuren, um ihren unangenehmen Dienst loszuwerden. Entstanden waren diese Schlägereien unter sehr entmutigenden Umständen, nämlich in Debatten mit der sogenannten Bürgerwehr, über die sich die Soldaten bitter beklagten. Das waren junge Zivilisten, Ansässige natürlich, mit rotweißen Binden am Arm und einem Stempel darauf, einige hatten Gewehre, die widersetzten sich Anordnungen und schlugen. Sie sagten, sie seien vom Bürgermeister mit der Straßenaufsicht betraut.
Als ob eine Parole ausgegeben sei, verzog sich gegen drei Uhr der Tumult aus dem Stadtinnern nach der Peripherie. Alle Gassen und Gäßchen stopften sich voll mit Menschen und Fahrzeugen, und alle drängten dahin, wo es doch am kahlsten und unheimlichsten aussah, in die Kasernengegend, in die lange
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