November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Bauern und Bürger haben sich auf der andern Seite der langen Straße gesammelt und stehen in Haufen und warten auf sie. Man kauft und verkauft. Säcke waren vollgestopft, die Karren der Bauern füllen sich.
Von dem Lärm und Getümmel werden Bürger, die sich nicht beteiligen, angelockt. Unter ihnen verstecken sich Offiziere und Beamte, die in der Stadt noch auf den Abtransport ihrer Habseligkeiten warten. In Zivil drängen sie durch die Haufen der Bauern und Bürger und sehen dem unerhörten Schauspiel zu. Welche drücken sich eine Weile am Eisengitter des Hauses, in dem der blinde Hauptmann gewohnt hat, die Fensterläden sind geschlossen. Sie halten eine lange Zeit dem furchtbaren, zerreißenden Anblick stand, der sie betäubt wie ein Vulkanausbruch. Denn auch sie wissen: dies, was da aus den Fenstern herabstürzt, wäre die Möglichkeit eines letzten Widerstandes gewesen. Man hätte noch die Ehre retten können. Sie sehen mit Grimm und Empörung fallen die Tag- und Nachtarbeit von Tausenden, unablässige Kriegstätigkeit in Fabriken, zum Schutz der Front und der Heimat. Was man verwüstet und was die Bestie der Bauern, Bäuerinnen und Bürger aufrafft, ist deutsches Vaterland, das Reich, das Offizierkorps, der ganze Staat. Sie suchen standzuhalten. In ihrer Nähe tauscht man. Sie drängen weiter. Wie die Soldaten aus allen Fenstern der Kaserne lachen und winken, wie sie johlen. Das Verhängnis.
Nach fünf Uhr treten Soldaten aus dem Tor, bewaffnet. Andere durchziehen die Korridore und verhindern die letzte Ausleerung der Kammern. Es heißt: noch Massen von Kameraden sind da, die bedacht werden müssen. Darauf schließen sich endlich oben die Fenster.
Langsam leert sich die Kasernenstraße.
Die Dunkelheit. Spärliche Laternen.
Wieder hört man das Rattern der Möbelwagen. Sie kriechen aus den Straßen. Sie eilen auf die großen Chausseen hinaus.
In ihre Dörfer sind die Bauern und Bäuerinnen mit ihrer Beute zurückgekehrt. Viele von den Leuten sind betrunken. Die Bekannten im Dorf, die Alten, die Kinder versammeln sich aufgeregt um sie und lassen sich erzählen. Es ist eine Freude.
In der Stadt, auf dem dunklen Theaterplatz, in der Nähe des sonst von Offizieren so frequentierten Hotels Europe, hängt noch immer im Kasten der Post der Heeresbericht vom 8.November hinter seinem Drahtgitter. Der Regen hat die obere Hälfte abgelöst. Würde einer die dunkle Treppe hinaufsteigen, so könnte er noch Kenntnis von den Kämpfen südlich der Straße Valenciennes–Mons nehmen, und daß sie mit der Abwehr des Gegners endeten. Es sind nur wenige Tage seit da, aber die Zeit rückt mit ungeheurer Macht vor.
Starke Patrouillen durchziehen das Städtchen bis zwölf Uhr, die Kasernen halten ihre Tore versperrt, im Innern hat man Stacheldraht gezogen und spanische Reiter aufgestellt. Ein Wutausbruch Henschels, Vorsitzenden des Soldatenrats, der schon vormittags auf dem Friedhof merkte, daß ihm die Zügel aus der Hand glitten und daß die Soldaten hinter seinem Rücken zu Gewalttätigkeiten aufgewiegelt wurden, hat die Ordnung wiederhergestellt. Völlig stumm liegt unter dem ewigen Regen, von der Nacht eingehüllt, die Stadt. Der Dienstag, der verflossen ist, hat viel zur Welt gebracht.
Nicht mehr da sind der alte General, der Garnisonälteste, und der Major. Sie sind geflohen, nach Straßburg. Nicht mehr da viele Familien von Offizieren und Beamten, die sich bis heute versteckt hielten.
Ausgestreckt in ihren Gräbern, unter frisch aufgeworfenen Hügeln, welche große Kränze mit roten Schleifen bedecken, vom kalten Regenwasser übersprüht, liegen die beiden Soldaten, die bei dem Rencontre mit ihrem Oberst vom Adjutanten erschossen worden sind. Der eine war ein Landarbeiter aus Donaueschingen, ein uneheliches Kind, der andere Tischlergeselle, der Ältere von zwei Brüdern, beides kräftige junge Männer, jetzt kraftlos, erloschen, in diesem Zustand völlig gleich einem Mann, der achtzig Jahre alt geworden ist, ein langes Leben geführt hat und an Altersschwäche gestorben ist, nicht unterschieden von den Hunderten, die auf dem Friedhof noch aus ziviler Zeit herumliegen.
Barbara von Ensisheim, das törichte und trotzige Dienstmädchen, die junge Revolutionärin, schnarcht in einer Zelle des Polizeibüros. An Stelle des schönen grünen Schlafrocks ihrer Herrin trägt sie nun wieder ihr fadenscheiniges Kleidchen, das noch im Schlafzimmer lag. Der wachhabende Polizist schnarcht auf einer Chaiselongue im Büro.
Kein
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