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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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schmieren müssen, vor denen er gekrochen war. Er beschimpfte den Stabsarzt im Revier, Zigarre im Mund: »Was, noch Schmerzen, schwach? Ist schön zu Hause, was? Kv.« Der kleine Mann flüsterte in alle vier Windrichtungen und zeigte mit dem Finger: »Kv., kv., kv., der dreckige Jude will sich drücken, die Saujuden drücken sich, nur die Juden drücken sich, die andern rennen begeistert an die Front! Und sollen sich auch drücken, die Juden, sollen, sollen, sag’ ich. Denn warum, wofür sollen sie in den Schützengraben, wenn sie bloß Saujuden sind? Ah, man ist kein Mensch für die, wenn man Jude ist. Man ist kein Mensch, wenn man Soldat ist. Ist einer ein Mensch für solchen Feldwebel, für die Herren Offiziere? Jetzt habt ihrs! Ihr Großköpfe!«
    Er strengte seine Kehle an. Er bläkte und schrie sinnlose Worte gegen den Wind, er krähte. Dann stopfte er die Hände in die Manteltaschen und stapfte friedlich und frisch weiter. Er blickte auf den Boden und die Stangen, suchte sich zu orientieren, wessen Felder dies waren. Er dachte an Nürnberg, an Geschäfte, welche Preise hat jetzt der Markthopfen, der Württemberger, der Landhopfen. Ich werde an die Arbeit gehen. Zusammengesunken, ein friedlicher Kaufmann, nachdenklich zog er seines Wegs.

    Der Hopfen, der hier wuchs, war eine hohe Schlingpflanze. Sie pflegten und düngten für ihn den Boden. Elf Meter hohe Gerüststangen steckten sie in den Boden, verbanden sie mit starken Drähten und ließen dünne Drahtzüge zu den Pflanzen herab. An ihnen konnten sie ranken. In Reihen, zwei Meter voneinander entfernt, erhoben sich die Pflanzen, mit hohen grauen Stengeln richteten sie sich auf und ließen lappige Blätter hängen. Sie waren Geschöpfe, die ein mäßiges Klima liebten, Nässe und Nebel ließen sie verkümmern, ihre Wurzeln wollten einen tiefen Boden, der Humus, Kalk und Pottasche enthielt. Wenn sie im Sommer aufblühten, waren sie eine reine Weibergesellschaft, denn nur die weibliche Pflanze ließ man hochkommen, weil sie kleine Fruchtzapfen trug und gelbe Drüsen mit dem Bitterstoff bildete, der den Menschen im Bier so angenehm schmeckte. Viel Wasser wollten die Pflanzen im Sommer, im Mai, Juni, Juli, darauf bildeten sie ihre Dolden und wurden reif zum Pflücken. Es kamen zehn Zentner Dolden auf einen Hektar Land, aber der Ertrag wechselte, und man hatte durchschnittlich in zehn Jahren zwei gute, drei mittlere und fünf geringe Ernten.
    Jetzt war Winter und alles geerntet, getrocknet und lagerte in den großen kühlen Kellereien hinten am Bahnhofsplatz, geschwefelt, in Metallbüchsen. Noch war es nicht Zeit zum Düngen und die Stöcke zu beschneiden. An manchen Tagen erschienen hier Männer und säuberten den Boden.
    Still warteten die Pflanzen im Boden auf ihre Zeit. Ein Tag folgte auf den andern, sie waren wie mit Sprengstoff gefüllt, die Zündung lief, es war ein Lauffeuer.
    Still warteten neben den Pflanzen in der Nähe die rotgelben Spinnmilben. Sie saßen auf den Lindenbäumen, auf der Unterseite der Blätter, und überzogen sie mit feinen Fäden. So klein diese Milben waren, so hatten sie Waffen, Saugrüssel und Stechborsten. Damit werden sie, wenn die jungen Pflanzen aufwachsen, sie anzapfen. Ihre Blätter werden sie bräunen und zum Verdorren bringen. Der Landwirt wird über den Kupferbrand klagen.
    Von den Schlehen kommt, wenn alles blühen will und die Menschen sich zur Ernte bereitmachen, die Blattlaus herüber. Sie ist grün. Wo sie lebt, werden sich die Blätter zusammenrollen und absterben, die Spitzen der Triebe werden vertrocknen.
    Und der Brandpilz des Rußtaus wartet in Hopfenstengeln vom Vorjahr. Er wartet auch auf seine Stunde, für ihn ist jetzt alles nur Vorbereitung. Er ist an den alten Stengeln ein schwarzes Pulver. Wenn der Sommer und die Wärme kommt, werden die Keime sich rühren und mit langen dünnen Schläuchen in die jungen Pflanzen dringen und sie aussaugen.

Mittwoch, der Dreizehnte
    In der Nacht gab es in der Kaserne den langerwarteten Alarm. Kein Trompetensignal, kein Trommelschlag. Wie in einer belagerten Festung, aus der man auf Schleichwegen abzieht, sammelte man sich um ein Uhr früh mit abgeblendeten Laternen auf dem weiten Hof, gegen zwei Uhr setzte man sich in Bewegung, Mann und Wagen, Reiter und Fuhrwerke. Einige Elsässer blieben als Wache zurück.
    Die Hufe klapperten, die Dragoner ritten aus, Artillerie rasselte, es rollten Kanonen, Munitionswagen aus Holz und Schmiedeeisen, Infanterie mit Gewehr und

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