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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Tornister, Stahlhelm an der Seite, sie traten den Boden, marschierten, junges Volk, altes Volk, der Krieg war verloren, die Nacht war eisig, sie mußten nach Haus, sie mußten aus dem Städtelein, dem Städtelein hinaus, und du mein Schatz bleibst hier. Sie sahen nicht die Hand vor sich, nur die an der Spitze hatten Laternen und Taschenlampen und sahen den Weg.
    Der Forst schlang sich um die Stadt herum, sie trotteten vor sich, und das war ihnen genug. Von der Infanterie hielten viele die Augen geschlossen, sie ließen sich schieben, und trieben am Arm der andern, sie schliefen halb, sie mußten wandern, Mariental, Bischweiler, Weyersheim und Vendenheim und Lampertheim, für uns ist noch lange kein Heim.
    Die Artillerie rasselt, die Wagen knarren, wir werden erst auf Straßburg fahren, dann geht es nach Haus. Wir werden uns nicht in den Dreck reinsetzen, erst gibt es Senge und Scherben, Fetzen. Und Vendenheim und Lampertheim und Schiltigheim, wir werden auch mal zu Hause sein.
    O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt, wenn ich mein ganzes Leben dich nicht gesehen hatt. Denn dieser Feldzug ist gar kein Schnellzug. Da drinnen liegt begraben so manicher Soldat.

    Die Hufe klapperten, Dragoner rückten aus, Artillerie rasselte, es rollten Kanonen, Munitionswagen, Infanterie, junges Volk, altes Volk.
    Der Pfarrer hörte das Trappeln, das Rasseln und Rollen, er fuhr aus dem Schlaf, zog sich an. Im Pelz, in Filzpantoffeln, den Hut auf dem Kopf stand er eine Viertelstunde und länger am offenen Fenster und blickte auf den schwarzen Platz.
    Er stand aufrecht wie ein Soldat. Er hielt die Hände in die Taschen gestopft, das Gesicht unbeweglich. So grüßte er die Soldaten, das abmarschierende deutsche Heer. Ernst, feierlich schloß er nach dem letzten Fouragewagen das Fenster. Heilige Flamme, glüh, glüh und erlösche nie fürs Vaterland.
    Er setzte sich in einen Fauteuil, ohne den Hut abzunehmen, zog nicht die Hände aus der Tasche, als wenn er noch am Fenster stand und die Truppen zogen vorbei. Das Wort »historischer Moment« tauchte in ihm auf.
    Er schlief schon beinah wieder, als er zu frösteln begann, sich aus dem Fauteuil erhob und sich auszog. Wie er in Unterhosen auf dem Bettrand saß, mit nackten Füßen, beschuldigte er sich: ich bin nicht auf der Höhe der Situation; ich bin ein schlechter eigennütziger Mensch.
    Aber das war nur das Vorspiel zu anderen Gedanken, an seine Frau, die schon weit weg und vorausgefahren war, seine hoffnungslosen Möbelsorgen; jetzt, wo die Regimenter abzogen, wo man ganz allein war, würde keiner einem beistehen, man mußte fliehen.
    Und er legte sich hin.
    Die Hufe klapperten, Artillerie, Infanterie. Heilige Flamme, glüh, glüh und erlösche nie fürs Vaterland. Treue um Treue, Tränen um Tränen.

    In dieser Finsternis erhob sich, ohne geweckt zu werden, die Alte. Sie wollte den Tag, den noch nicht angebrochenen Tag, da fortführen, wo sie den gestrigen verlassen hatte, beim Räubern.
    Von der Kaserne war der Rausch des Plünderns auf die weiblichen Insassen des Lazaretts übergesprungen, die Gelegenheit war da, der erste Versuch gemacht. Ein Gemisch von Kameraderie und Rivalität hatte sich zwischen Schwestern, Küchen- und Hilfspersonal eingestellt. Es drehte sich um Sturm auf Wäschekammern, auch stand der Sinn auf große Porzellanschüsseln, Tassen und Teller. Andere träumten von Konserven.
    Die Alte weckte den Mann. Er sollte seinen Kaffee trinken. Er verstand nicht, warum so früh. Er erhob sich gehorsam, sie verriet ihm ihre Absicht nicht. Nun saß er neben der brennenden Petroleumlampe an seinem Platz, im Halbschlaf, das Käppchen auf dem kahlen Schädel, hielt die große warme Tasse mit beiden Händen umfaßt und wärmte sich. Sie schob ihm Brille und Zeitung hin, brummte ein Abschiedswort, klapperte ab.
    Er begann seinen Kaffee zu schlürfen, legte sich in dem Stuhl zurück, die Hände sanken auf die Schenkel, er schlief ein, den Kopf vor der Brust.
    Es war hell, als er erwachte. Man hämmerte im Hof, der Major vom zweiten Stock reiste ab. Erschreckt sah er die brennende Lampe auf dem Tisch und blies sie aus. Dann wanderte er mit seinen Krücken ans Bett, und als er sich gewaschen hatte und wieder auf seinem Stuhl mit der Pfeife saß, begann er seinen Tag, blickte in den Raum und sagte laut: »So. Es ist der 13.November.« Dann tat er einen kräftigen Pfeifenzug und setzte sich die Brille auf.
    Der Alte griff heute nicht nach seiner Zeitung. Er stocherte von

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