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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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bleich im Mantel, den Kragen hochgeschlagen in seinem Sessel, die Hände in die Taschen vergraben, und spuckte jetzt in sein Taschentuch. Der Fußboden um ihn war mit Zeitungen bedeckt. »Aus den Kerls hier mach’ ich mir nichts. Ich habe, mit Respekt zu melden, bevor Sie eintraten, gekotzt.« »Nein, Grippe?« »Magenverstimmung. Galle.« Er stieß mit dem Fuß in den Zeitungspack. Der General: »Lesen Sie doch den Mist nicht. Zehn Schritt vom Leibe.« »Kann mir das nicht leisten, Herr General. Früher standen unsere Heeresberichte drin, jetzt äußert sich der Feind. Muß wissen, was er vorhat. Ich bin und bleibe – Preuße, berufsmäßig.« »Na und?« »In Berlin haben sie ein neues Ministerium aufgebaut, für Preußen, sitzen drin ein Genosse Hirsch, Paul mit Vornamen, ein gewisser Braun, Ernst und Adolf Hoffmann. Wissen Sie, wer Hoffmann ist?« »So heißt mein Schneider. Warum schreiben Sie sich das in Ihr Notizbuch?« »Weil ich die Zeitungen wegschmeiße. Das ist der sogenannte Zehngebotehoffmann. Ein Analphabet. Kultusminister in Preußen. Wo bleibt der alte Fritz mit dem Krückstock?« »Darüber kotz’ ich noch nicht mal.«
    Es klopfte, sie blickten sich an, der Major riß den Kopf herum und schrie: »Rein.« Ein jüngerer bärtiger Mann im Regenmantel, den triefenden kleinen Jägerhut in der Hand, stand auf der Schwelle. Der General auf, hob erstaunt die Arme: »Heinz.« »Onkel, entschuldige, hatte dich nicht erkannt in Zivil.« »Mach die Tür zu, Junge. So.«
    Er stellte die Herren vor: »Mein Neffe ist hier herum Forstmeister. Und was machst du in Straßburg, mit Frau und Kind?« Der hängte vorsichtig seine nassen Sachen auf und schob den Kleiderständer vom Teppich. Der General lachte: »Da sieht man den Ehemann. Was geht dich der Teppich von den Kerlen hier an?« Der Forstmeister saß mit rundem Rükken auf seinem Stuhl: »Herr Major entschuldigen, wenn ich meinen Oheim hier aufsuche. Ich nahm an, daß, wenn ich ihn nicht sofort faßte, er vielleicht morgen verschwunden ist.« »Stimmt, mein Junge. Keinen Tag bleib’ ich länger.« Darauf lange Pause. Der General: »Und wo ist die Familie?« »Schon drüben, Ludwigshafen, seit Wochen. Bei uns in den kleinen Nestern gab es kein Halten mehr, seitdem es an der Front nicht vorwärtsging. Eine Lausebande. Alles unterwühlt.« »Hat dich der Hotelier unten auch angequasselt?« »Mich quasselt so was nicht an. Ich hab’ meinen Hirschfänger bei mir und meine Hundepeitsche.« Er zog wirklich aus dem Schaft eines seiner hohen Stiefel eine kurze Lederpeitsche hervor. »Aber so, wie es jetzt ist, das hab’ ich die ganzen langen Jahre, die ich hier bin, fünfzehn Jahre, nicht für möglich gehalten. Entweder sind diese Menschen hier Heuchler, faul und träge und laufen immer mit dem, der siegt, oder sie sind Eidbrecher, Lügner und Verräter.« »Nein, was denn«, antwortete ihm der Major, »was ist daran so wunderbar. Was kann schließlich ein Zivilist anders als parieren.« »Im Frieden, Herr Major!« »Was im Frieden?« »Da konnten sie sich doch aussprechen, man unterhielt sich mit den Leuten. Ich bin mit dem Heeresbericht, wenn ich ihn telephoniert kriegte, zu ihnen ins Dorf gegangen und habe ihn ihnen am Abend vorgelesen, und da waren wir alle einer Meinung.« Der Major: »Schien Ihnen so.« »Wir haben zusammen bis in die Nacht gesessen und gesoffen und diskutiert, und da waren welche, die haben noch dicke Töne geredet wie Annexion und so. Da war einer, sage ich Ihnen, ein junger Bauer ...« Der Major: »Warum war der nicht bei der Truppe?« »War krank, hieß es, kam zurück. So sind Bauern, hatte seine Speckseiten und Schinken, und damit hielt er sich am Platz.« Der Major: »Wissen wir alles. Von euch hat auch mancher davon profitiert.« »Aber der Kerl riß das Maul bis zum Nabel auf, er wollte für sein Deutschland haben, was es überhaupt in der Geographie gab, und die andern immer feste mit, bis auf ein paar, die sich still verhielten und die mir verdächtig vorkamen. Nachher – gab es in dem ganzen Nest und in der Umgebung keine Seele, die zu mir stand. Meine Frau und die Kinder kamen gelaufen, hatten Angst; ich mußte sie wegschicken. Und jetzt mußte ich auch weg, sie haben mir nachts ins Forsthaus geschossen. Ich weiß, der Kerl war’s.« Er wischte sich die Augen: »Ich hätte es nicht geglaubt. Keine Hand hob sich für einen.« »Du lieber Gott, was tummeln Sie sich eigentlich dann noch hier herum?« »Man möchte doch wissen, ob

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