November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
meiner Schwester lesen, die jeder lesen kann. Ich sage ihr: Kind, das geht nicht, es besteht Verdacht. Sie sagt: ich habe einen Span im Kopf. Ich gebe nach; warum auch mit seinen Verwandten brechen.« »Frau Gemahlin auch festgesetzt worden?« Der milde Erbe lachte auf seinem hohen Bürostuhl: »Das nicht. Die Frau hat sich ganz vernünftig benommen. Als man ein paarmal bei uns nachgesehen hat, von der Polizei, hat sie ihr Bündelchen gepackt und sagt: Anton, hier bleibe ich nicht, die Leute meinen’s nicht gut mit uns und ich mit ihnen auch nicht; sie sind aber stärker, komm mit! Da hab’ ich dummer Lackel aus bloßer Starrköpfigkeit nein gesagt, und da ist sie allein über die Schweiz zu ihrer Schwester gegangen. Und wie die ersten Briefe von ihr kamen, war ich natürlich ganz verdächtig, im offenen Bund mit den feindlichen Mächten.«
Der Major warf ihm einen raschen scharfen Blick zu: »An Ihrer Stelle hätte ich mich freilich auch aus dem Staub gemacht.« Herr Erbe breitete die Arme aus: »Warum? Warum, Herr Major? Vor wem fliehen? Dies ist mein Hotel. Das Geschäft geht ausgezeichnet. Ich habe keinem etwas getan. Aber sie haben mich geholt, als deutschfeindlich, als Landesverräter, und dafür habe ich dann seit 1917 Frühjahr gesessen, ein und ein halbes Jahr, Herr Major. Sie haben kein Belastungsmaterial gefunden.« »Es sind Fehler gemacht worden«, murmelte der Major, der sich in sein Schicksal ergeben hatte.
Der sanfte Hotelier stützte den Kopf auf: »Meine Frau ist noch immer drüben, sie kommt erst, wenn die Franzosen da sind. Keine Minute früher. Ich will die Zeit benützen, um mich herauszufüttern, sonst bekommt sie einen zu großen Schreck über ihren Alten. Heute haben wir Mittwoch, am Samstag haben sie mich aus der Fadengasse herausgeholt, es ist so lange wie ein Monat für mich. Ich habe geweint, Herr Major, als sie aufschlossen und sagten, wir können raus, wir können gehen, wohin wir wollen, und draußen standen sie, Massen, Elsässer, die alle so fühlten wie ich, und haben geschrien und mich umarmt, fremde Leute, aber alles Freunde, und sie haben mich im Triumph mit Musik und Gesang wieder in mein Hotel geführt, hier, wo auch mein guter Vater gelebt hat. Herr Major, warum erzähle ich Ihnen das? Weil Sie das nach Hause, nach Deutschland mitbringen sollen, damit die es auch wissen. Ich bin friedlich und umgänglich; meine Frau meint: zu sehr, aber das ist ein besonderes Kapitel. Hier habe ich keinen Anlaß zum Verdacht gegeben, ich war kein Deutschenfreund, aber auch kein Deutschenfeind, und Landesverräter schon gar nicht. Aber wie ich aus der Untersuchungszelle in die Fadengasse kam, und da waren noch Dutzende wie ich, und auf der Straße stand, hier vor meinem Hotel – verdammt.«
Herr Erbe knirschte mit den Zähnen und sah ins Leere vor sich, seine Stirn war gerunzelt, er sprach leise. »Da hätte mir kein Preuße unter die Finger kommen sollen, es war auch keiner in Sicht, waren plötzlich alle weg von der Straße; da habe ich gemerkt, daß sie jetzt recht hätten, wenn sie mich Deutschenfeind nennen. Jetzt war ich’s. Und jetzt bin ich’s. – Aber gegen die Soldaten habe ich nichts.«
Der Major bewegte sich nicht. Herr Erbe putzte sich seine Brille, setzte sie sich sorgfältig auf die Nase, legte Bügel nach Bügel hinter die Ohren, wischte sich die Stirn. Der Major wartete noch eine Weile. Als Herr Erbe darauf nur in den Raum hineinblickte, erhob sich der Major. Erbe sagte: »Das Zimmer steht zu Ihrer Verfügung.« Der Major mit verschnürter Kehle: »Danke verbindlichst«, und ließ sich von Hubert nach oben führen. Auf der Treppe gab er dem Hausdiener Geld für Tageszeitungen, egal welche, in- und ausländische.
Mittags um zwei traf ihn der General bleich in dem großen Zimmer: »Nanu, zwei Betten?« »Für – Hochzeitsreisende, Herr General. Flitterwochen, ein Hühnerstall.« »Hab’ Sie in der ganzen Stadt gesucht, erlauben, daß ich mir diesen Sessel nehme. Sie konnten es also in dem Lärm nicht aushalten.« »Unverschämte Bande, Elsässer, machen in der Nacht Saufgelage über dem Kopf anderer Leute. Natürlich mit Absicht. Ich war oben, hab’ es mir verbeten, dann beim Nachtportier. Nichts zu machen, einer unverfrorener als der andere.« »Wir sind vom Feinde umgeben. Der Haß, der Haß, der bläst einen förmlich an, nur raus hier. Den letzten fressen die Hunde. Man hätte hier ganz anders aufräumen sollen. Ist Ihnen nicht wohl, Herr Major?«
Der saß
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