November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Rohrstuhl zurecht, worauf der Major dennoch sich langsam niederließ, und redete friedlich von seinem faulen Bürositz herunter: »Sehen Sie, da kommt Hubert, der ist gar nicht so, der trägt Ihnen gleich Ihren Koffer rauf, zweite Etage, Hubert, das Zweibettenzimmer, wir haben gestern grade das Zimmer freigekriegt, ein Brautpaar aus Vendenheim hat seine Flitterwochen da verlebt, vergnügte junge Leute, ja, wenn unsereins noch so jung wäre. Sie kennen doch Vendenheim? Ein schönes Land, Elsaß. Ich habe auch rausgemußt, anderthalb Jahr, war für mich lange Zeit, aber Sie sind ja aus Preußen oder Bayern?«
Der Major bezwang sich unheimlich, er war ein gereizter Mann, das Hotel, das er bewohnt hatte, war zu laut gewesen, er dachte an die gräßliche Nacht mit Laufen und Lachen über sich. Er quetschte einen Satz hervor: »Sie haben – im Osten gestanden.« »Nein, das nicht, Soldat war ich überhaupt nicht, auch nicht Schipper, ich hab meinen Leistenbruch und bin für Krieg schon zu alt und zu fett. Mich haben sie, weil sie weiter mit mir nichts anfangen konnten, ins Gefängnis gesteckt. Und was glauben Sie, warum? Rechtskräftig bin ich nicht verurteilt. Aber gesessen hab’ ich doch. Immer Untersuchung. Und wenn der Krieg nicht aus wäre, säße ich noch in Untersuchung. Sie haben mich vexieren wollen. Ist ihnen auch gelungen, ich habe zwanzig Kilo abgenommen. Ist gut, Hubert, weiter ist im Augenblick nichts nötig. In der Fadengasse habe ich gesessen, das ist hier in Straßburg das Untersuchungsgefängnis, am 30.Oktober sollte ich Termin haben, der wurde dann auf den Dezember verschoben.«
Der Major räusperte sich, er dachte an die Nacht und nahm alles hin. Er blies ergeben die Luft aus: »Worum drehte es sich?« »Worum es sich drehte. Herr Oberst, wenn ich das wüßte.« »Ich bin Major.« »Entschuldigen, Herr Major. Jetzt wird’s wohl mit dem Major und Oberst aussein. Aber der Titel bleibt, der Titel bleibt lange, das vergißt sich nicht. Worum es sich drehte, ja. Das war wie bei uns allen. Man ist Elsässer, und das ist ein Fehler. Ist einer Elsässer, so kann er machen, was er will, er ist verdächtig. Man weiß nie und lernt nie, was für ein Verdacht, aber man hat ihn auf sich sitzen. Man braucht sich auch nicht anzustrengen, ihn zu verlieren, man verliert ihn nicht, man braucht sich auch nicht den Kopf zu zerbrechen, was für ein Verdacht es sein könnte, die andern finden ihn schon, eines schönen Tages.«
Der Major gab sich einen Ruck und würdigte den Mann einer Antwort: »Nun, sei’n wir offen; nach dem, was man in den letzten Tagen gesehen hat und was sich hier ereignet hat, war schon Grund zu einigem Verdacht.« »Sagen Sie das nicht, Herr Major. Das soll man nicht sagen. Das ist nämlich, wenn Sie es richtig sehen, eine Drehmühle ... Stellen Sie sich mal folgende Situation vor (er zwang den ungeduldigen Major, sitzen zu bleiben und zuzuhören, ob er wollte oder nicht): Ich kenne Sie nicht, darauf bin ich reserviert gegen Sie und warte, was mit Ihnen ist. Darauf sind Sie nicht zufrieden, Sie haben von mir Herzlichkeit erwartet, Sie haben vielleicht eine hohe Meinung von sich, wozu Sie ja allen Grund haben mögen, aber ich kenne Sie nicht. Darauf werden Sie noch reservierter und vermuten, ich mag Sie nicht. Darauf denke ich mir auch mein Teil und warte weiter. Darauf vermuten Sie, weil sich bei mir nichts einstellt und ich nichts sage, ich habe Hintergedanken. Und nun bekommen Sie selber Hintergedanken, und ich meinerseits habe nun auch wirklich Hintergedanken und denke: das Richtige sind Sie auch nicht. Von Herzlichkeit kann jedenfalls jetzt keine Rede mehr sein.« »So.«
»So ist man verdächtig geworden. Und nun ist weiter nichts zu machen. Sie sind verdächtig, weil Sie nicht herzlich sind, und Sie bleiben verdächtig. Ich zum Beispiel habe eine Frau aus Nancy, sie ist meine Großkusine. Wir haben immer französische Zeitungen gelesen, sie ist das gewohnt, und unsere Verwandten haben wir doch natürlich behalten, auch wie der Krieg da war. Da haben sie nun angefangen, bei uns zu schnüffeln, als im Krieg nicht alles so ging und gehen konnte, wie es gehen sollte. Wir haben auch Zeitungen von früher liegen gehabt, und dann kamen im Krieg Zeitungen über die Schweiz und Briefe, von unsern Verwandten. Gewiß, ich hätte schon darauf verzichten können, aber meine Frau, die ist resolut, die sagt: warum denn, warum soll ich, wenn Krieg ist, meine Zeitungen nicht lesen und keine Briefe von
Weitere Kostenlose Bücher