November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
vollständigen Legitimation und einer absolut ununterbrochenen Existenz über alles ging, er hatte daher Familienforschungen unternommen und besaß beglaubigte Abschriften aus Kirchenregistern, von Bürgermeisterämtern, die die Einwanderung seiner Familie aus der Schweiz vor drei Jahrhunderten bewiesen. Für den feuersicheren Bestand dieser Papiere konnte er bis jetzt nicht bürgen. Seine Frau hielt seine Forschungen für Spielerei und trug die Objekte im Haus von Ort zu Ort. Jetzt installierte er sich mit ihnen und einem eisernen großen Möbel fest und sichtbar in ihrer gemeinsamen Wohnung, seine Anschauungen nahmen einen nicht bestreitbaren Raum ein. Tisch und Stuhl dienten demselben Zweck.
Deutsche Kompanien zogen auf der Straße geschlossen an ihnen vorbei, langsamen Schritts, als sie aufluden; sie marschierten herüber, um das linke Rheinufer zu räumen, Registrator und Kalfaktor mit ihrer Fuhre würdigten sie keines Blicks. Sie machten noch eine zweite Fahrt, dabei holten sie einen kleinen eisernen Ofen, der im Vorzimmer stand. Sie verbrachten eine gute Stunde in schwerer Arbeit damit, das bis zur Decke reichende Rohr ohne Beschädigung abzumontieren, der Kalfaktor hatte Werkzeuge mitgebracht. Sie trugen ferner den Kohleneimer und die Schippe herunter. Dies galt dem Kalfaktor, dessen Ofenheizung seit Jahren nicht funktionierte und der darunter litt.
Der Hausdiener in dem kleinen Hotel nahe der Kathedrale grinste still durch den Türspalt in das Zimmer hinein, wo sein Herr, Anton Erbe, auf einem hochgeschraubten Bürosessel am Tisch vor einem geöffneten Kontobuch saß, die Feder hinter dem Ohr und nichts tat. Herr Erbe war so faul oder so in seine Gedanken vertieft, daß er nicht mal den Kopf nach der Tür drehte, um den Hausdiener besser zu verstehen, der seit einiger Zeit etwas murmelte. Dieses tiefsinnige Sitzen und Nichtstun hatte sich Herr Erbe im Gefängnis angewöhnt, dem er erst seit Sonnabend entronnen war. Schließlich drehte Herr Erbe, ein mildgesichtiger Herr mit Kneifer, doch den Kopf, weil es zog, und er sah Hubert, den alten Hausdiener, an der Tür grinsen und den Mund bewegen. Herr Erbe dachte, entweder bin ich taub oder er ist verrückt, denn ich höre kein Wort. Er regte sich aber nicht darüber auf, weil er Phlegmatiker war, er beobachtete weiter Hubert. Der nickte jetzt mehrfach heftig und räusperte sich, die Stimme war ihm weg, weil er sich verschluckt hatte. Jetzt krächzte er: »Schon wieder einer.« Dasselbe hatte er, aber nicht vernehmlich, nun schon fünfzehnmal gesagt, aber auch er war ein geduldiger Mann, der es sogar bei dem stürmischen alten Herrn Erbe ausgehalten hatte, dem Gründer dieses kleinen Hotels, dem verstorbenen Vater des Herrn Anton auf dem hohen Bürosessel. »Was für einer?« Statt einer Antwort zeigte Hubert mit dem rechten Daumen über seine Schulter nach rückwärts. Er wurde beiseitegeschoben, und ein langer älterer Herr zeigte sich.
Dieser Herr, der einen kleinen Handkoffer in der linken und einen knüppelartigen Stock in der rechten Hand trug und infolgedessen nicht den Hut abnahm, war unser Major.
»Sie sind der Hotelbesitzer? Ich darf um ein Zimmer bitten.« Herr Erbe, der eigentlich den Namen Herr Milde verdiente, aber andererseits auch wirklich ein Erbe war, fragte verständnisinnig: »Mit wem habe ich das Vergnügen?« Worauf der Major seinen starren Befehlsblick auf ihn lancierte und akzentuierte: »Ist das hier ein Hotel?« Der Hotelier nickte. »Ich möchte also um ein Zimmer bitten.« »Ich frage bloß, weil Sie doch den Hubert kennen. Da haben Sie doch schon hier übernachtet.« »Wer ist Hubert?« Herr Erbe nahm den Kneifer von der Nase und zeigte gegen die Tür. Darauf stellte der Major seinen kleinen Koffer an den Boden und trat an den Tisch heran: »Nun möchte ich wirklich bitten, Herr ... Ich wünsche ein Zimmer.« »Wenn Sie den Hubert kennen, brauchen Sie ihn doch nicht grade zu schupsen. Der Mann steht gute dreißig Jahre im Dienst unseres Hotels.« Darauf hob der Major erst wieder seinen Koffer auf, besann sich aber auf die schwere Nacht, die er hinter sich hatte und nahm sich zusammen: »Also Sie haben ein Zimmer?« »Aber natürlich. Findet sich immer schon eins, warum nicht. Es handelt sich gewiß nur um zwei oder drei Tage?«
Und ohne zu warten, was der Major antwortete, der die zivile Vertraulichkeit mit einer Kehrtbewegung beantworten wollte, kam Herr Erbe hinter seiner Barriere hervor, zog von der Wand her einen kleinen
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