November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
der ihn angerufen hatte. Ein ungarischer Sprachlehrer suchte in der Hohenlohestraße lange und vergeblich das Haus der Dame, die ihn zum Unterricht bestellt hatte, die Nummer war schlecht geschrieben. Der Landwirt Ruhe, der nachmittags seine Wiese bei Schiltigheim besuchte und einen Kirschbaum von ruchloser Hand glatt abgebrochen fand, glaubte danach, die Welt steht still. Aber es war ihm schon zum zweiten Mal passiert seit einem Jahr. Ein kleines anspruchsloses Mädchen von drei Jahren, dem man keinerlei Verbindungen mit den kriegführenden Mächten nachsagen konnte – sogar ihr Vater hatte sich neutral erklärt, als Sargtischler in Straßburg –, dieses Mädchen wurde am Mittwochabend von einem Militärmotorrad auf der Straße umgerissen und einige Meter mitgeschleppt. Es erlitt aber nur leichte Abschürfungen.
Nichts anzusehen war von alledem der alten Stadt, die in dem Tumult leicht zitterte.
Auch nichts anzusehen davon, daß von fernher über sie die Sehnsucht von Liebenden strich, auf der Suche nach den Geliebten, und an ihr züngelte, wie eine blasse Flamme aus einer fernen Feuersbrunst. Es brannten viele solche Flammen in der Stadt selber.
Und sehr weit entfernt trat an diesem Abend in Breilly bei Amiens ein junger französischer Soldat gebückt aus dem Keller eines Bauernhauses und stieg vorsichtig die finstere Treppe herauf. Er hatte ein kleines Klopfzeichen gegen die Kellertüre vernommen. Das war Clementine, die Bäuerin, die Frau eines gefallenen Freundes, die ihn zum Abendessen heraufrief. Das Zeichen bedeutete: die Luft ist rein, es ist Nacht, das Tor geschlossen.
Denis hatte schon nach der Marneschlacht September 14 genug vom Krieg. Und als sein bester Freund neben ihm fiel, schien ihm, er selbst habe genug für den Krieg geleistet. Zu seinen Eltern im Nachbarort traute er sich nicht. Clementine, die ihren Mann verloren hatte, schien ihm zuverlässiger. Was sich als richtig erwies. Sie lebten friedlich, in Freundschaft und Liebe und ohne daß einer etwas merkte, in der einsamen Farm bei Amiens den ganzen langen Krieg durch. Er versteckte sich, sie behütete ihn. Er war faul, sie mästete ihn. Aber jetzt bei Kriegsende wollte der dumme Kerl auf alle Weise heraus, und da wäre er in den sichern Tod gelaufen und sie hätte ihn nicht mehr. Und da tröstete sie ihn und hatte dreimal am Tage ihre Arbeit mit ihm. Aber schließlich siegten Clementine und die Angst vor dem Gericht. Jetzt aßen sie in der Küche und tranken.
Zu Füßen der beiden liegt eine breite Kiste mit Hunden, es ist die Hündin, die gestern gejungt und acht kleine jaulende Wesen zur Welt gebracht hat.
Abfahrt
Letzter Tag des Lazaretts in der kleinen Stadt. Es konnte nach dem Abzug der Truppen nicht mehr bleiben.
Der Oberstabsarzt wachte an diesem Donnerstag zerschlagen auf. Grämlich blickte er auf das Kaffeetablett, das seine muntre Frau hereinbrachte, fragte nach der Zeit, richtete sich auf und saß eine ganze Weile still über sich. Sie wartete, das Buttermesser in der Hand, und ängstigte sich. Sie war froh, als er um das Thermometer bat, sie kannte ihn als Hypochonder. Aber schon wie sie das Röhrchen unter seine Achsel schob, dachte sie, heute könnte es vielleicht doch etwas sein, sie wußte nicht, wie sie daraufkam, vielleicht Grippe. Stumm saßen sie, zehn Minuten, sie mit seiner Taschenuhr in der Hand, um den Moment zu bestimmen, dann las er laut ab: »38. Das ist 38 am Morgen.« Er legte sich ergeben zurück. So, jetzt war er krank. Er war nicht aufgeregt. Wenn es nicht das Herz war, regte es ihn nicht auf. Er war jetzt krank, und das war gut; er wollte von dem ganzen Zauber hier nichts wissen. »Kommt man über diese kläglichen Tage hinweg, so werde ich wie ein ehrlicher Soldat mit den andern im Lazarettzug abtransportiert.« »Soll ich den Oberarzt holen?« »Bitte, Antonie, ich laß ihn bitten.«
Er kam. Der Chef lächelte ihn an. »Mir fehlt eigentlich nichts. Ein bißchen Mattigkeit, aber ich hab’ schlecht geschlafen.« Vor Ärzten hatte der Chef Angst, er fürchtete sich vor jedem ihrer Worte, seine Frau mußte stundenlang mit ihm ihre Worte untergraben; es lag daran, daß er vor der neuen, ihm unbekannten Wissenschaft der jungen Herren Respekt hatte.
Der Oberarzt auskultierte und klopfte die Brust ab; Antonie, die Frau, hielt seine Hände vom Bettende her, damit er aufrecht saß; nachher blickte der Arzt noch in den Hals und fand nichts. »Nichts«, erklärte er, als er den Stirnspiegel abnahm. »Also
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