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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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wie er sie hörte. Aber sie war eher da und erschrak zu Tode, als sie ihn vor dem Bett sah, kniend, unfähig hochzukommen.
    »Entschuldige Antonie, ich wollte eine warme Decke.« Er schüttelte furchtbar und lachte sie verzerrt an.

    »Du lebst diesen selben Tag, diese Stunde, diese Minute, ich weiß nichts von ihr, Du läßt mich. Den grauen Morgen beginne ich damit, nach dem Papier zu greifen, um an Dich zu schreiben. Du glaubst nicht, was ich hier sehe, höre und erleben muß. Wenn jemand wüßte, was Du mir warst, und bist, würden sie mich erschlagen. Und hämisch sind sie und haben einer gegen den andern etwas vor. In dem Städtchen, das Du kennst, werden sich widrige und gräßliche Dinge ereignen, sie tragen ihren kleinen Haß aus. Keine Deutschen mehr sichtbar. Was Du nur machst, wie es Dir geht, ob Du in Sicherheit bist, es stehen so schreckliche Dinge von drüben in den Zeitungen. Ich verfluche die, die die Niederlage über die Deutschen, über Euch und mich, gebracht haben.«
    Darauf zerknüllte sie den Brief, warf ihn in den Papierkorb, und nachher suchte sie ihn wieder vor und glättete ihn und legte ihn beiseite.

    Zerfall des Lazaretts. Die letzten Stunden. Es blies kein Trompeter im Garten; die Trompete hatte er in seinem Gepäck verstaut, dazu ein Paar neubenagelte Soldatenstiefel, ferner Bettwäsche für seine Frau.
    An Bettwäsche haben sich seit gestern abend in größtem Stil Schwestern und alles, was Weib im Lazarett war, bedient. Sie besaßen die Großzügigkeit, auch fremde Frauen mitzubringen und so gewaltig zu räubern, daß die Lager gegen Mittag »ausverkauft« waren.
    Unsere stille Alte, die Portierfrau des Pfarrers, wo finden wir sie? Sie, die pünktlich ein Jahrzehnt den blinden Hauptmann betreute und sorgsam auf der Straße Pferdemist sammelte, empfindlich gegen jede Störung ihrer Ordnung – was war mit ihr geschehen! Welche Verwandlung in so hohem Alter, eine Revolution im kleinen. Sie machte den Tanz im Lazarett bis zu Ende mit. Zum ersten Mal sahen Schwestern und Kranke die Alte schwatzen und kichern. Sie befreite einen Krankenwärter eigenhändig aus den Klauen eines andern, der nicht gestatten wollte, daß man die Marmorplatten der Chirurgischen Station auf Kinderwagen aus dem Lazarett fuhr. Die Alte schalt so heftig, daß man sie beruhigen mußte. Und wird sie wohl Frieden halten mit ihrem strengen Mann, der doch die Gerechtigkeit selber ist und an einem förmlichen Ordnungskoller leidet? Diesen Engel der Gerechtigkeit mußte man am heutigen Donnerstagmittag vor dem Tor seines Hauses hinter dem Wasserturmplatz stehen sehen, beide Krücken unter den Achseln. Er unterhielt sich mit Passanten und allen Leuten, die aus und ein gingen und verkündete: »Jetzt kann man doch endlich seinem Herzen Luft machen. Die Preußen, die Unterdrücker!« Das sagte der ehemalige Unteroffizier, der noch im Kasten unter seinem Tisch die herrliche Verfügung über Beschlagnahme von Backformen und Kuchendeckeln aufbewahrte. Er stand an seinem Tor wie ein Kriegsopfer. Es fehlte nicht viel, daß er die letzten Kisten, die man im Hof hämmerte, beschlagnahmte.
    Sogar gegen die Frau wurde er heftig. Seine jäh erwachte Raubgier, getragen von dem neuen Patriotismus, machte ihn wild. Er jagte die Frau, die schon genug gebracht hatte, zurück zum Lazarett. Er erkundigte sich auf der Straße, was mit den Kasernen sei, mit dem Offizierskasino, und als er hörte, daß überall einheimische Wachen stünden, fluchte er. Was für Wachen? Sie haben Gewehre, es ist die Bürgerwehr, die die Stadt eingesetzt hat, um Ordnung zu schaffen, sonst hat man Unannehmlichkeiten mit den Franzosen. Er versuchte Bekannte aufzuwiegeln, Wachen zu bestechen oder zu entwaffnen, aber stieß damit nicht auf Gegenliebe. Er kaute schwer an diesen Mitteilungen über eine Bürgerwehr und humpelte nachmittag selbst in der Stadt herum, was er seit Jahren nicht getan hatte, um zu erfahren, was es mit dieser Bürgerwehr sei, und sah sich die Leute an, die er nicht kannte. Er war fest überzeugt, daß sie einfach für die Reichen der Stadt die Restbestände bewachten und selber plünderten. Und damit erntete er Verständnis bei kleinen Leuten seiner Bekanntschaft, Elsässern, die der revolutionäre Geist angesteckt hatte. Sie stellten sich zusammen: »Wer hat ihnen das Recht gegeben? Soll der Karren so weiterlaufen? Sie sollen bloß nicht denken, sie können es bei den Franzosen ebenso machen.« Aber es blieb bei Krakeel.

    Die paar Dutzend

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