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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Grippe?« fragte der Chef. »Ich sage, nichts. Haben Herr Oberstabsarzt sonstwo Beschwerden? Wollen noch die Gelenke sehen.« Er bewegte, die Bettdecke zurückwerfend, die Knie- und Fußgelenke. Den linken Fuß hielt er in der Hand und stockte: »Was haben Herr Oberstabsarzt da für eine Sache, ein Pflaster?« »Ein Hühnerauge.« Antonie: »Es sind die engen Stiefel. Er sollte sie wirklich wegwerfen.« Der Patient lachte: »Heute Stiefel wegwerfen!« »Aber wenn du humpelst.« Der Oberarzt hielt noch immer den linken Fuß in der Hand und blickte darauf hin. Er nahm sich den Stirnspiegel, der einen runden grellen Lichtkegel warf und blickte schweigend auf den Fuß. Die Frau stand neben ihm und senkte auch den Kopf über den Fuß, sie blickte fragend den Oberarzt an. Der Chef konnte von oben nicht sehen, weil das dicke zurückgeworfene Bett ihm die Aussicht versperrte, er meinte von weit her: »Das Pflaster bedeutet nichts. Ich habe mir das Hühnerauge geschnitten. Das Pflaster hab’ ich zur Sicherheit darüber gelegt.«
    Stumm zeigte der Oberarzt auf eine feine Röte, die sich vom kleinen Zeh über den Fußrücken ausbreitete, Antonie sah sie, ohne zu begreifen, der Oberarzt legte einen Finger auf den Mund, schüttelte kurz den Kopf und sagte, indem er aufstand: »Das Hühnerauge nehme ich auch in Behandlung, Herr Oberstabsarzt, wenn Sie gestatten. Die Stiefel drücken wohl stark, sie haben gerieben. Jedenfalls machen wir hier einen kleinen Umschlag.« »Und das Fieber, Kollege?« »Ist belanglos, 38, ich schätze, es fällt ab, heute oder morgen. Sie wissen ja, was es für ungeklärte Fieber im Krieg gibt. Sie waren doch im Osten, Herr Oberstabsarzt?« »Könnte auch Malaria sein oder wolhynisches Fieber?«
    Sie lächelten sich an. Der Oberarzt hob den Arm: »Das Gescheiteste, man wartet ab, innerlich Chinin. Gnädige Frau achten auf die Verdauung. Herr Chefarzt drängt selber bei jedem Fieber darauf, auf den Darm abzulenken; ganz seiner Meinung.« Er verabschiedete sich. »Abends darf ich wieder vorsprechen, mit Erlaubnis?«
    Antonie lief ihm auf den Flur nach, sie drängte ihn in das abseits gelegene Wohnzimmer, sah ihn ängstlich an. Der Oberarzt, die Mütze in der Hand: »Man braucht sich nicht zu sorgen, gnädige Frau. Es ist eine gewisse Verunreinigung erfolgt, wir werden die Sache lokalisieren.« »Die Röte?« »Eine Entzündung.« »Und das Fieber? Ich bin so ängstlich. Von Hühneraugen ist schon so viel passiert.« Ohne ein Wort schüttelte der Oberarzt ihr die Hand und forderte Vertrauen. »Aber, aber.«
    Er verschwand. Sie wagte sich nicht gleich in das Schlafzimmer zurück. Dann steckte sie eine unbekümmerte Fröhlichkeit auf, summte zur Einleitung auf dem Flur, und im Zimmer hüpfte sie an sein Bett und lachte ihr Alterchen an: »Na also! Nun werden wir doch noch den Franzosen in die Hände fallen, zu guter Letzt.« Sie gab ihm die Chance, überlegen zu sein. Er lachte: »Wir haben doch auch Bettlägrige, die mitkommen. Ich fahre bequem«, und schwärmte sofort: »Jetzt kann ich den ganzen Tag liegen.« »Du Faultier.« »Jetzt weiß ich, warum sich die Leute so gern legen; man ruht sich gründlich aus. Antonie, ich bin wirklich glücklich, so kommt alles zusammen: der Krieg ist aus, ich mach’ den ganzen langweiligen Ärzteladen zu, und zur Einleitung fahre ich bequem, als Patient.«
    Er schluckte an dem Kaffee, schob ihn weg, sagte: »Minute.« Sie ließ ihn allein. In der Küche kein Bursche, keine Aushilfe, das Geschirr. Oh, diese Revolution. Und dann das Hühnerauge.
    Man sollte das Fenster schließen, dachte er, als er lange genug allein lag, und blickte gespannt hin; es scheint, das Fenster ist zu, aber es zieht, ich friere. Es ist komisch, ich friere. Als das Zittern nachließ, fiel ihm ein: es ist ein Schüttelfrost, ich bin nervös, ich pack’ mich aber ordentlich ein, gut, daß Antonie mich nicht sieht. – Puh, wie das einen wirft, doll. Seine Zähne klapperten. Bin ich ein alter nervöser Kerl, sie haben es mir immer gesagt, ich hätte es aber doch nicht geglaubt. Aber ich will doch Antonie rufen. Er rief. Sie antwortete nicht. Sie wird oben sein, packen. Ich muß mir eine Decke holen. Er machte sich auf den Weg nach der Klingel drüben neben der Tür. Er stieg im Hemd aus dem Bett, er konnte nicht stehn, der Verband am linken Bein hinderte ihn. Er ließ sich wie ein Hund nieder und kroch auf allen Vieren nach der Tür, klingelte. Er horchte, ob sie käme, und wollte rasch ins Bett,

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