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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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heraus und winkten in die Städte. Mit Kreide hatten sie lustig die Wagenwände, die Scheunentore bemalt, man fuhr zum Sieg, in neues Leben. Jetzt trug noch der letzte der drei Güterwagen eine verwischte Inschrift an einer Schiebetür, von einer ungelenken Hand gemalt.
    Die drei Wagen dienten bürgerlich bescheiden als Küche, Vorratsräume und Stall. Denn man hielt da das lebende Schwein; auch hatten zwei Frauen, denen ihre Männer wiedergegeben waren, als Opfer für den scheidenden Kriegsgott einige friedlich gackernde Hühner hinzugetan. In alten, großen, gemeinsamen Holzwagen mit Bänken waren die Leute verstaut, auf Bänken, und zwischen den Bänken in den Gängen konnten sie Betten ausbreiten. Die, die noch krank waren, richteten ihre Bänke als Dauerbetten her; einige Waggons mit Einzelabteilen schlossen sich an; da hatte man schwerer Kranke, die letzten Grippefälle und Familien untergebracht. Auch die letzten Offiziere hatten verstanden, hier Unterschlupf zu finden.
    Keuchend machte sich das Großmütterchen, die alte Lokomotive mit dem dürren Hals, an die Arbeit; behutsam geleitete sie ihre Kinderchen. Die Wagen rollten, aus allen Fenstern blickte man zurück zu den letzten Fackeln. In das Dunkel schleppte das eiserne Großmütterchen die Wagen, das Licht hinten verschwand, in den schwarzen stummen Forst glitt man ein. Eine einzelne tiefe Baßstimme sang in einem vorderen Wagen: »Ach, wie ist’s möglich dann, daß ich dich lassen kann. Hab’ dich von Herzen lieb. Das glaube mir.«

    Die Lichter in den Wagen erloschen. Der Mond schien draußen, man streckte sich auf den Bänken aus. Die Kälte drang ein, man deckte sich zu.
    In ihrem Einzelabteil lag Becker gegenüber Maus auf der Bank.
    »Bist du wach, Maus?«
    »Ja.«
    »Paß auf, Maus. Der Krieg ist bald zu Ende.«
    »Der Krieg ist schon zu Ende.«
    »Noch eine halbe Stunde, eine halbe Stunde, schlaf nicht ein, dann merkst du, dann merkst du, der Krieg ist zu Ende. Halt dich wach, Maus. Daß wir den Augenblick erleben konnten, wo dieser Krieg zu Ende ist. Du siehst es noch nicht, Maus. Denk jetzt nicht an deine Schulter, ich denk’ nicht an mein Kreuz. Denk nicht zurück. Heb deinen Kopf an. Wenn du kannst, leg dich auf den Bauch. Du siehst besser.«
    Maus lag auf der Seite. Den Kopf hob er an. Sie fuhren durch den Forst. Das Großmütterchen zog. Der Forst öffnete sich manchmal, sie sahen in die weiten Buchten den Mondschein einfließen. Ab und zu flogen Funken vorbei. Die Wagen rollten und rollten.
    Nichts mehr vom Städtchen.
    Die Wagen rollten.
    »Wir fahren schon lange«, flüsterte Maus. Eine neue Landschaft dehnte sich draußen, ein Auf und Ab des Bodens, Hügel, Täler.
    »Hab keine Sorge, Maus; wir werden noch lange so fahren. Noch lange, lange. Oh, daß wir das erleben konnten. Daß das noch einmal kommt zu uns. Jetzt ist alles vorbei, jetzt, jetzt verschwindet auch das.« Er stammelte, Maus verstand ihn nicht. Maus sagte verwundert: »Was du sprichst, Becker.«
    Der lag auf dem Leib, den Kopf an der Scheibe, das Gesicht gespannt; er flüsterte: »Es ist der Friede, das Leben. Das Leben. Ich grüße dich, lieblicher Friede. Du bist da. Sei lange da. Sei immer da. Verlaß mich nun nicht mehr, lieber Friede. Wir kommen aus dem Krieg – ein langer, grausig schwerer Krieg. Wir haben getan, was wir konnten. Jung sind wir hineingegangen. So kommen wir wieder, lahm, verstümmelt. Und durstig, hungrig nach dir, fiebrig. Der Krieg war die Weckeruhr, sie schnarrte neben uns, wir dachten immer, wir sind ja schon da, hör doch auf, sie hörte nicht auf, aber jetzt ist es ganz still. Wir fahren, wir kommen, Friede, wir sind da. Ah, dich noch einmal zu sehen, noch einmal alles versuchen, wir haben nicht mehr geglaubt, daß es uns erfüllt werde.«
    Becker lag auf dem Bauch, er hob den Kopf noch höher an der Scheibe: »Wir haben Hunderttausende verloren, Liebe, Gute und Junge, sie liegen draußen im Boden, haben noch das Krachen in den Ohren. Lieber Friede, sei gnädig zu uns, die zurückkehren.«
    Staunend hörte ihn Maus: »Was sprichst du, Becker?«
    Die Wagen rollten, rollten. Zwischen weißem Mondlicht und tiefen Schatten glitt der Zug.
    »Wir müssen ungeheuer gesündigt haben, daß uns dies geschehen ist, und daß wir so zurückkehren, geschlagen.«
    Er streckte sich auf der Bank aus, zog die Decke über sich, er ließ nicht nach. O Friede, Leben. Du bleibst unser Gesicht. Unser Gesicht, o unser Gesicht.
    Enthüll dich uns. Enthüll uns. Da

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