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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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sind wir, da kommen wir. Tu gnädig an uns.
    Sie lagen, der eine auf dem Bauch, der andere auf der Seite, und träumten. Das Beben des Waggons teilte sich ihnen mit. Sie nahmen es willenlos an.

    Becker schlief.
    Aus einer Wiesenfläche, oder war es ein Wasserspiegel, erhob sich eine Gestalt und sprach zu ihm: »Ihr geht weg?«
    »Wir fahren nach Hause.«
    »Warum fahrt ihr nach Hause? Tagaus, tagein dröhnen eure Züge.«
    »Wir sind besiegt. Wir müssen das Land räumen. Komm näher. Ich versteh’ dich schlecht.«
    »Bleibt! Bleibt! Warum wollt ihr gehen?«
    »Ich verlasse ungern das Land, wo ich so lange lag.«
    »Ach, bleibe hier. Ich habe es nicht mit Kriegern zu tun. Wir sind friedlich. Blicke dich um.«
    »Ich sah.«
    »Blicke mehr. Du bist fromm und gut. Bleibe.«
    »Wer bist du? Wer spricht zu mir?«
    »Du siehst mich.«
    »Deinen Namen.«
    »Ich bin ein alter Mann, der sein Land segnet. Johannes Tauler heiße ich.«
    »Johannes Tauler! Du!«
    »Ich habe hier gelebt. In alten Zeiten. O du lieber Christ, hör mich an.«
    »Ich bin ein schlechter Christ.«
    »Du bist einer. Du hast den Grad, der den Menschen in die hohe Wahrheit Gottes führt. Du kannst dich zu den Wunderwerken Gottes wenden und bedenken, welche unaussprechlichen Gaben er uns mitgeteilt hat und welche aus ihm fließen.«
    »Du meinst es –?«
    »Ja, guter Mensch. Warum folge ich dir aus dem Dunklen, wie eine Mutter, die ihr Kind rufen hört? Du hast gejubelt und frohlockt vom Frieden, vom süßen Gesicht des Friedens, und er ist eine der unzähligen Wohltaten, die uns und aller Kreatur mitgeteilt sind.«
    Becker, im Schlaf, murmelte: »Wie kann ich bleiben.«
    »Um noch mehr zu wissen, bleibe. Gott reizt dich und lockt dich zu sich. Er will seine Liebe in dich senken.«
    »Komm näher. Sei deutlicher.«
    »Hebe dich zu mir, damit ich in deine Augen sehen kann. Ach, dein trüber Blick.«
    »Ich war lange krank.«
    »So sprich neu zu deiner Krankheit. Sage: Gott grüße dich, o du bitterste Bitterkeit. Du sollst meine liebe Schwester sein. Du bist voller Gnaden.«
    »Ich will es.«
    »Noch tust du es nicht. Du bist hart und stolz, ein großes Gemüt, ein hoher Berg. Schließ nicht die Augen, mein Kind. Um Geduld und gnädigen Ausgang sollst du bitten. Im stillen sanften Sausen kommt der Herr.«
    Die Wagen rollten, Becker lag.
    »Du bestehst im eignen Wohlgefallen, mein Kind. Da führt kein Weg hinaus. Wende dich. Sprich nach: o bitterste Bitterkeit, du sollst meine liebe Schwester sein.«
    Er murmelte es, murmelte es nochmal. Er hörte die Stimme.
    »O guter Christ. Deine elende verlassene Seele, in welcher Drangsal steckt sie. Nicht einmal klagen kann sie recht. Komm. Verlaß mich nicht. Vergiß meines Landes nicht. Ich werde dir eines Tages ein Zeichen schicken, ein hilfreiches.«
    Becker öffnete die Lippen und hob sich fragend.
    Aber da vernahm er nichts mehr und schlief weiter.

    Die Wagen fuhren in einem weiten nördlichen Bogen nach Deutschland hin, der große Rückzug der Armee besetzte alle Strecken. Und als der Morgen graute, waren sie schweigend an Weißenburg vorbeigerollt, der alten friedlichen Stadt. Keiner sah das graue Siegeszeichen, das am Weg errichtet war und den Triumph eines deutschen Sieges verkündete, der hier vor fünfzig Jahren errungen wurde. Das Denkmal stand, grau, die Sieger, nun Besiegte, ließen es stehen, es sank in das Dunkel der Dämmerung ein. Sie fuhren über die Lauter, das sanfte Elsaß haben sie im Schlaf, im Rütteln und Rollen verlassen, dies ist die Pfalz, sie rollen über Landau hinaus. Links die Berge der Hardt. Sie haben noch immer nicht den Rhein überschritten.
    In den großen Gemeinschaftswagen schlafen sie auf Bänken und in Gängen am Boden. Sie waren hin und her gefahren, von Osten nach Westen und Westen nach Osten, sie waren krank gewesen, sie waren gesund geworden, jetzt lagen sie da, man trug sie zurück nach Hause. Wie der Wind im Frühjahr feines Gespinst von Blüten abreißt und über die Felder und in die Straßen bläst, im Übermaße, auf fruchtbares oder steiniges Gelände, so wurden sie dahin und dahin geworfen, und wo sie hinfielen, ließen sie sich nieder.
    Im Küchenwagen erwachen in der Frühe einige Männer, einer meint: »Dies ist schon nicht mehr Elsaß; was es ist, weiß ich nicht; ist mir auch ganz Wurst.« Sie sind tüchtige Jungs, im Gerätewagen hat der und jener eine Masse Sachen liegen, gut verpackt und verschnürt, das war vor einer Woche noch nicht seins; wenn man

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